Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
1999 den Preis der Martin-Luther-Städte einträgt, nicht nur zwischen den christlichen Kirchen praktiziert, sondern auch unter den Religionen. Ich habe immer nicht nur die positiven, sondern auch die Schattenseiten der Religionen hervorgehoben. Ein Wort, das ich gern als Widmung in ein Buch schreibe, lautet: »Die Wahrheit in Wahrhaftigkeit!« Gerade das katholische Lehramt, das sich als Hüter der Wahrheit versteht, zeichnet sich oft durch Unwahrhaftigkeit aus. Man sieht die Wahrheit nur bei sich und nicht bei anderen und sieht die Unwahrheit nur bei anderen und nicht bei sich. Und allzu oft steht die theoretische Wahrheit im Widerspruch zum praktischen Verhalten.
Auch habe ich in meinem Schreiben und Reden über das Judentum versucht, stets wahrhaftig zu bleiben: Selbstkritisch gegenüber der eigenen Position, wo nötig, auch jüdische Positionen hinterfragend, aber immer gerecht und fair, und möglichst im Blick auf problematische Seiten auch der beiden anderen abrahamischen Religionen.
Aufrichtig dankbar bin ich dafür, dass man mir von jüdischer Seite meine Kritik, weil ehrlich und freundlich, nicht übel genommen und mich erst recht nicht etwa – wie andere Personen – des Antisemitismus geziehen hat. Im Gegenteil: Ich habe sehr viel Anerkennung erfahren, nicht nur von Einzelnen, sondern auch von Institutionen, die mich im Dialog ermutigt hat. Schon im Jahr 2000 erhalte ich von der zentralen Institution des Reformjudentums in den USA, dem Hebrew Union College – Jewish Institute of Religion in Cincinnati, den Ehrendoktor der Humanwissenschaften (L.H.D.). In meiner Dankesrede sage ich: »Ich bin hierhergekommen als christlicher Theologe, der über das Judentum ein Buch geschrieben hat, das für Nichtjuden und für manche Juden unbequem ist. Ihr Ehrendoktorat ermutigt mich sehr, meinen Weg eines ehrlichen jüdisch-christlichen Dialogs weiterzugehen, der nur ein Kriterium kennt: die Wahrheit in Wahrhaftigkeit! Sicher haben manche von Ihnen die Erfahrung gemacht, dass es viel leichter ist, mit aufgeklärten Menschen einer anderen Religion zu reden als mit unaufgeklärten Menschen der eigenen Religion.«
Eine ganz besondere Ehre aber ist für mich die Verleihung des Abraham-Geiger-Preises am 18. Juli 2009 in Potsdam durch das bereits erwähnte Rabbiner-Kolleg. Es bedeutete für mich als christlichen Theologen eine starke Ermutigung, gelobt zu werden für mein Werk »Das Judentum«, das »eine der hervorragendsten Monographien über das Judentum als Weltreligion« darstelle, aber darüber hinaus auch für meine ganze ökumenische Tätigkeit gerade im Dienst eines Weltethos. Das Projekt Weltethos komme der Forderung des Judentums nahe, jede Religion zu respektieren, solange sie einen Grundwertekanon vertritt, der das menschliche Zusammenleben und die Menschenrechte fördert und schützt.
In meiner Berliner Dankesrede habe ich an alle drei prophetischen abrahamischen Religionen auch eine differenzierte kritische Frage gestellt, wo sie in ihrer Religion entweder in völlig säkularistischer Weise alles relativieren oder aber in ultraorthodoxer Haltung alles bewahren wollen. Ich scheute mich auch nicht, wie säkularisierte Christen und Muslime, so auch säkularisierte Juden zu kritisieren, die »eine moderne Ersatzreligion bekundet haben: der Staat Israel und die Berufung auf den Holocaust«. »Das könne zwar säkularisierten Juden eine jüdische Identität und Solidarität verschaffen, scheine aber nicht selten auch die brutalen Maßnahmen der israelischen Armee gegen die Palästinenser in den besetzten Gebieten zu rechtfertigen.« Hier habe ich dann anschließend für den Dialog der Kulturen und Frieden zwischen den Religionen als eine Voraussetzung für den Frieden zwischen den Nationen plädiert. Ich bin sehr berührt davon, dass beim anschließenden Bankett viele der aus der ganzen Welt zusammengekommenen Rabbiner zu mir an den Tisch kommen, um sich das von mir und Walter Homolka gemeinsam verfasste Buch signieren zu lassen. Alle Reaktionen auf meine kritische Rede sind ausgesprochen freundlich.
Besonders freuten mich die nachträglichen Glückwünsche von Dr. h.c. CHARLOTTE KNOBLOCH , Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland: »Es gibt nur wenige Menschen, die über eine so lange Zeit hinweg so überzeugend und engagiert wie Sie für einen wirklichen interreligiösen Dialog eingetreten sind. Sie haben durch Offenheit und genaueste Quellenkenntnis stets sinnvolle Kritik ermöglicht,
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