Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Religionswissenschaftler JACOB NEUSNER , der mich nach verschiedenen Treffen in Amerika am 21. Juni 1991 in Tübingen besucht. Neusner hat Hunderte von Veröffentlichungen über die Tora, den Talmud und andere jüdische Schriften geschrieben oder herausgegeben. Er hat sich aber auch kritisch-konstruktiv mit dem Neuen Testament beschäftigt und Beiträge zum jüdisch-christlichen Dialog geliefert. Besonders bekannt wurde sein Buch »Ein Rabbi spricht mit Jesus: ein jüdisch-christlicher Dialog« (München 1997), ein Buch, das viel Sympathie für Jesus zeigt, aber von Benedikt XVI. zu Unrecht für die in seinem Jesus-Buch vertretene Christologie in Anspruch genommen wird.
Besonders wertvoll ist für mich der Kontakt mit MICHAEL BLUMENTHAL. Im Jahre 1926 in Oranienburg bei Berlin geboren, war er 1938 mehrere Monate im KZ, bevor er dann mit seiner Familie zuerst nach Schanghai und dann nach USA auswandern kann. Sprachbegabt und hochgebildet wird er Wirtschaftsprofessor, dann wirtschaftspolitischer Berater der Präsidenten Kennedy und Johnson und schließlich Finanzminister unter Präsident Carter. Als Direktor des Jüdischen Museums in Berlin, des größten in Europa, besucht er mich in meinem Haus, und wir verstehen uns bestens. Dennoch haben wir bei zwei Gelegenheiten die »Klingen gekreuzt«: Bei einer Tagung der Dräger-Stiftung in Berlin (14. 3. 1997) kritisiere ich in meinem Referat das unethische Verhalten der amerikanischen Banken, was ihn auf den Plan ruft, wobei mich aber anschließend HORST KÖHLER verteidigt.
Das zweite Mal ist bei einer Sitzung des InterAction Council in Jordanien am Toten Meer (2006), wo Michael Blumenthal an einem Tag die aggressive Politik der Bush-Administration kritisiert, am nächsten Tag aber die aggressive Politik des Staates Israel gegenüber den Palästinensern verteidigt, was ich widersprüchlich finde. Als dann der frühere jordanische Ministerpräsident HAZZA’ AL-MAJALI den Bau der Mauer zwischen den beiden Völkern als tolerabel ansieht, solange sie auf dem Gebiet Israels stehe, schalte ich mich erneut ein und kritisiere die Mauer nach dem Fall der Berliner Mauer als einen Rückfall in barbarische Zeiten. Blumenthal ist über meine Intervention schockiert, kommt aber sofort nach der Sitzung auf mich zu und lädt mich freundlich ein zum Galaessen, das einmal im Jahr im Jüdischen Museum in Berlin mit dem Bundespräsidenten, der Bundeskanzlerin und vielen hochgestellten Persönlichkeiten stattfindet. Ich finde seine Reaktion nobel und nehme diese Einladung gerne an. Dort erhalte ich den Ehrenplatz neben dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, PAUL SPIEGEL , und seinem Stellvertreter, Dr. SALOMON KORN . Es zeichnet Repräsentanten des Judentums immer wieder aus, dass sie zu einer kritischen Auseinandersetzung fähig und sehr gut vorgebildet sind, was im Gespräch mit Muslimen leider oft fehlt.
Mit deutschen Rabbinern bin ich verschiedentlich öffentlich aufgetreten. Ich habe gute Erinnerungen an Landesrabbiner Dr. h.c. JOEL BERGER in Stuttgart, und erst recht an seinen Nachfolger, den Schweizer NETANEL WURMSER , der anlässlich der großen Ausstellung der Stiftung Weltethos »Weltreligionen – Weltfrieden – Weltethos« in der Kunsthalle Tübingen 2002 mein angenehmer Gesprächspartner ist. Bei derselben Ausstellung nimmt auch die erste Rabbinerin der Schweiz, BEA WYLER , zusammen mit der lutherischen Bischöfin MARIA JEPSEN und der Muslimin SIBA SHAKIB an einer Podiumsdiskussion über die Probleme der Frauen in den drei Religionen teil.
Am nächsten aber steht mir zweifellos der Rabbiner Dr. WALTER HOMOLKA , Rektor des Abraham Geiger Kollegs in Potsdam, Deutschlands erstem (liberalem) Rabbiner-Seminar nach dem Holocaust, und Honorarprofessor an der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam. Er hält für mich am 28. November 2008 in Düsseldorf die Laudatio bei der Verleihung des Heinrich-Heine-Preises »Für Zivilcourage« durch den Heinrich-Heine-Freundeskreis. Mit ihm zusammen bin ich auch auf dem Evangelischen Kirchentag aufgetreten. Vor allem haben wir zusammen den Band »Weltethos aus den Quellen des Judentums« (Freiburg 2008) herausgegeben. In ihm werden Kerntexte aus drei Jahrtausenden jüdischer Weisheit, von der Bibel bis zur Gegenwart, aufgeführt und der Bezug zur Weltethos-Erklärung des Parlaments der Weltreligionen in Chicago 1993 hergestellt.
Jüdische Ehrungen
Ich habe das »Unerschrockene Wort«, das mir
Weitere Kostenlose Bücher