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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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persönlich. Er begrüßt mich freundlich und legt mir den weißen Schal der Tibeter als Zeichen des Friedens um den Hals. Der Dalai Lama imponiert mir trotz seiner gelegentlich etwas allgemeinen Aussagen. Denn:
    – Er gibt alle weltliche Autorität auf und verkörpert eine geistliche Autorität, ohne damit (wie die Päpste) einen massiven Machtanspruch zu verbinden.
    – Er verkörpert zugleich einen zeitgenössischen Buddhismus, ohne an den Dogmen der Vergangenheit festzukleben.
    – Er setzt sich mutig für den Frieden in der Welt ein, ohne sich ständig ins Zentrum stellen zu wollen.
    – Er hat in seinem Kampf für die Autonomie Tibets die Gewaltfreiheit seit Jahrzehnten konsequent durchgehalten, auch gegen den Widerstand radikalerer tibetischer Gruppen.
    Eine völlig andere Wende als in Zentralasien hat der Buddhismus hingegen in Japan genommen, das ich schon früh besucht habe.
    Moderner Buddhismus in Japan
    Bereits im November 1964 hatte ich Japans pulsierende Hauptstadt kennengelernt, allerdings auch die Schwierigkeiten der Kommunikation, wenn man Japanisch weder lesen noch sprechen kann. 1979 bin ich, dieses Mal als Mitglied des Kennedy-Instituts für Ethik in Washington, erneut in Tokio. An der katholischen Sophia-Universität hören wir ausgezeichnete Vorträge über Erziehung in Japan, über die Curricula japanischer Universitäten, über biologische Probleme und über Gesetz und Ethik; ich selber halte einen Vortrag über Religion und Wissenschaft. Dann ein Abendessen in der Ginza, dem berühmtesten Stadtbezirk Tokios, und am nächsten Morgen ein Besuch im kaiserlichen Bezirk. Dann geht es weiter nach China.
    Entscheidende Impulse verdanke ich der Einladung zum 5. Zen-Symposion vom 7. bis 12. März 1987 in Kyoto, an dem ich über die Frage referiere »One True Religion?«, aber vor allem mit den bekanntesten Vertretern des Zen-Buddhismus in Japan diskutieren darf. 6 Wir wohnen im Klosterbezirk in einem Hotel im einfachen Zen-Stil und essen vegetarisch. Außerdem genieße ich eine klassische Teezeremonie und ein Abendessen im Tempel von Abt HIRATA ROSHI , bei dem es erfreulicherweise auch Bier zu trinken gibt. Am Tag darauf halte ich an Kyotos Doshisha-Universität einen öffentlichen Vortrag zum Thema »Wohin geht die Christenheit?«, anschließend ein typisch japanisches Abendessen mit der Fakultät.
    Ich verdanke es aber der Japan Foundation, dass ich anschließend eine zehntägige Studienreise durch ganz Japan machen darf, begleitet von der sympathischen Reiseführerin YUKO YOSHIMI : Neben den mir schon bekannten Großstädten und den zwei durch die Atombombe von 1945 zerstörten Städten Hiroshima und Nagasaki besuchen wir so wichtige Orte wie Tenri (Geburtsort der neuen monotheistischen Religion Tenri-kyo), Kamakura mit der monumentalen Bronzestatue des Amida-Buddha, die Perleninsel Mikimoto und vor allem das in reizender Natur gelegene höchste shintoistische Heiligtum in Ise: den Schrein der kaiserlichen Familie mit dem heiligen Spiegel der Sonnengottheit Amaterasu (wird alle 20 Jahre neu aufgebaut). In Tokio laden mich sowohl der schweizerische Botschafter Dr.  DIETER CHENAUX-REPOND wie der deutsche Botschafter HANS-JOACHIM HALLIER zu einem Abendessen ein, bei dem ich mit interessanten Persönlichkeiten ins Gespräch komme. Am 26. März halte ich schließlich noch einen Vortrag im Goethe-Institut über »Aufklärung durch Religion. Zur Situation der Nachmoderne«. Am nächsten Tag geht es weiter nach Taipeh.
    Im Oktober 1997 komme ich dann für die »Spurensuche« erneut nach Japan. In der alten Kaiserstadt Nara , wo die großartige klassische chinesische Kunst und Architektur der buddhistischen Tang-Zeit des 7./8. Jahrhunderts (in Europa Beginn des Frankenreichs) ihren Niederschlag gefunden hat, wird erfreulicherweise gerade das Herbstfest gefeiert. So erleben und filmen wir eine farbenprächtige Prozession von Hunderten Mönchen aus China (im gelben Gewand), Korea (grau), Tibet (rot) und Japan (violett). Im größten Holzbau der Welt, im Todaiji-Tempel (eingeweiht 752), spielt sich die hochzeremonielle Versammlung einer klerikalen Religion von Mönchshierarchien mit feierlichen Titeln und kostbaren Gewändern ab. Wie ich mich oft bei einer Bischofsprozession oder einer römischen Papstmanifestation fragte, was dies alles mit Jesus von Nazaret zu tun habe, so frage ich mich auch dort, während ich den Sutren und Anrufungen lausche, was denn dies alles mit dem ursprünglichen Buddha

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