Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
konzentriert auf die Rezitation des Lotos-Sutra und auf die Erfüllung sozialpolitischer Aufgaben. Die Millionen Mitglieder zählenden buddhistischen Laienreligionen Reiyu-kai, Soka Gakkai und Rissho Kosei-kai (1925, 1930 und 1938 gegründet) sind alle mehr oder weniger ethisch ausgerichtet. Ich bin stolz darauf, für meinen Einsatz für ein Weltethos von Rissho Kosei-kai 2005 in einer großen Feier in Tokio den 22. Niwano-Friedenspreis verliehen zu bekommen, benannt nach NIKKYO NIWANO , dem charismatischen Gründer und ersten Präsidenten der Rissho Kosei-kai. Der Preis ist hoch dotiert mit 100.000 Euro, die ich weitergegeben habe zur Unterstützung eines jungen Wissenschaftlers, der sich um das Weltethos und die Stiftung sehr verdient gemacht hat.
Die Meditation im Zentrum
Eine große Stärke des Buddhismus ist und bleibt zweifellos die Meditation. Ich bin selber in meinen sieben römischen Ausbildungsjahren in der christlichen Meditationspraxis – im Geist des Exerzitienbüchleins des IGNATIUS VON LOYOLA – »trainiert« worden: Jeden Tag nach dem Aufstehen eine halbe Stunde Meditation, vor Gottesdienst und Frühstück: über Szenen der Bibel, des Lebens Jesu, über Psalmworte, die Worte des Neuen Testaments und über Heilige und religiöse Ereignisse … Ich weiß also, wovon ich rede, wenn ich von christlicher Meditation rede. Doch zugleich muss ich sagen: Meditationsübungen, so wichtig sie für einzelne Christen sind, gehören nicht zum Zentrum der Religion. Man kann Christ sein, ohne zu meditieren. Im Buddhismus ist das anders, und das wollte ich nicht nur wissen, sondern auch erfahren.
Die Meditation gehört als Mittel der geistigen Selbstdisziplinierung zum »achtfachen Pfad« des Buddha. Mehr als bestimmte liturgische Praktiken oder ein bestimmtes philosophisches System sind deshalb für den Buddhismus von Anfang an Meditationsübungen charakteristisch. Denn sie sollen den in Verblendung, Hass und Begehrlichkeit, kurz, in Ichsucht befangenen Menschen zur Achtsamkeit, Sammlung und Befreiung des Geistes führen, zur Versenkung und zum erlösenden Wissen: dass alle Dinge – der Meditierende eingeschlossen – bedingt entstehen und vergehen, substanzlos und deshalb leidvoll sind und dass die Befreiung von jeglichem Begehren und Anhaften auch das Ende der Leiden bringen wird. Deshalb gibt es keine Weisheit ohne Konzentration des Denkens: eine Konzentration, die jedoch nach buddhistischer Auffassung den Geist nicht mit Gedanken bereichern, sondern aller Gedanken entleeren soll. Die beste Meditation ist nach buddhistischer Auffassung die objektlose Meditation, die nicht auf Fülle, sondern auf Leere zielt.
Der Buddhismus ist von seinem Ursprung her eine Mönchsreligion, und die Mönche haben für die Meditation ausgeklügelte Methoden entwickelt. Ich habe an verschiedenen Orten, zumeist in buddhistischen Klöstern, an Meditationsübungen teilgenommen: in Birma, Indien, Japan, Tibet und auf Hawaii. Ich erinnere mich, wie ich schon 1984 in einem birmanischen Meditationszentrum in einem großen Park in Rangun eine Meditation nach der Methode des MAHASI SAYADAW mitgemacht hatte: In Achtsamkeit beobachte ich im Sitzen meinen eigenen Atem und versuche zugleich nichts zu denken. Aber ich achte auf das ständige Auf- und Abschwellen und momentane Anhalten des Atems, das für Buddhisten auf die Vergänglichkeit und Substanzlosigkeit des menschlichen Daseins und aller Dinge hinweist. Dieses ruhige gleichmäßige Atmen kann jedoch, scheint mir, auch anders empfunden werden: Dass der Atem nicht stockt, sondern immer wieder neu anschwillt, erscheint mir als ein Zeichen des immer neuen Lebens. Gerade das Atmen lässt mich so das Leben bejahen und auf diese Weise meinen Geist zur Ruhe kommen. Später habe ich diese Haltung als Lebensvertrauen oder »Grundvertrauen in die Wirklichkeit« analysiert. Welches Wunder, dass auch mein Herz seit meiner Geburt jetzt schon weit über acht Jahrzehnte Tag und Nacht schlägt, ohne auch nur eine Minute auszusetzen …
Die beiden jungen Schweizer Mönche, die ich im Meditationszentrum von Rangun zu meiner Überraschung unmittelbar nach ihrer Einkleidung und Mönchsweihe im Kloster kennenlerne, scheinen ihren Buddhismus auch so positiv zu verstehen. Ich zweifle nicht daran, dass solche Meditationsübungen auch für Christen eine Hilfe sein können: um durch Loslösung von der Welt und Einkehr nach innen zur Überwindung von Verblendung, Hass und Begehrlichkeit und so zur Ruhe,
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