Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Lanka RICHARD F. GOMBRICH , über Thailand S. J. TAMBIAH , über Birma MELFORD E. SPIRO –, umso intensiver beschäftigt mich die Frage, wie aus der nüchternen Botschaft des Buddha eine Religion der Reliquien, Stupas und Pagoden werden konnte.
Nirgendwo kann ich diesen ganz anderen Buddhismus besser beobachten als in der alten Kaiserstadt Bagan in Oberbirma, dem Treffpunkt der Handelswege aus Indien und China. Während vier Jahrhunderten wurden hier über 10.000 sakrale Bauten, Tempel und Pagoden gebaut. Auf einer Fläche von fast 40 Quadratkilometern entwickelte sich Bagan ab dem 9. Jahrhundert zu einer der größten Städte des Mittelalters (14-mal größer als die mittelalterliche City of London). Touristen gibt es bei unserem Besuch im Februar 1984 noch kaum, und ich kann in einem alten Autobus zusammen mit Marianne Saur die ganze Ruinenstadt ruhig durchfahren. Wir begegnen nur einem zweiten Autobus mit ebenfalls nur zwei Personen; es ist der Schweizer Botschafter in Indien mit seiner Frau. Doch dann kommen auch Dorfbewohner, um Gaben für die wenigen Mönche darzubringen – nicht zuletzt als Absicherung gegen die bösen Geister, die überall lauern.
Auf den Stufen des gut erhaltenen Ananda-Tempels sitze ich lange und schaue über die weite Ebene mit ihren noch immer zahlreichen Pagoden. Es ist mir nun klar: Ähnlich wie im Christentum, wo Jesu Botschaft sich nach der konstantinischen Wende zu einer mittelalterlichen Religion entwickelt hatte, so hat sich im Buddhismus nach der Wende durch Kaiser Ashoka ebenfalls eine Religion der »Werkgerechtigkeit« entwickelt, das heißt der Verdienstlichkeit der guten Gaben oder Taten. Die buddhistische Praxis selbst der Mönche konzentriert sich zunehmend – statt auf Kein-Karma-Sammeln (um ins Nirvana eingehen zu können) – auf ein Gutes-Karma-Sammeln, um Verdienste für eine bessere Wiedergeburt zu sammeln. Und reiches Karma verschaffen zum Beispiel das Bauen von Heiligtümern und Gaben an die Mönche. Viele Rituale im Theravada-Buddhismus sind jenen im Katholizismus vergleichbar. Viele hochverehrte verstorbene Mönche werden ähnlich wie Heilige behandelt, von denen es ebenfalls viele Amulette und Bilder gibt.
Früher als andere hatte MAX WEBER , Begründer der Religionssoziologie, diesen Paradigmenwechsel erkannt: »Der Kleinbürger und Bauer konnte ja mit den Produkten der Soteriologie der vornehmen Bildungsschicht nichts anfangen. Am wenigsten mit der altbuddhistischen Soteriologie. Er dachte nicht daran, Nirvana zu begehren, ebenso wenig wie die Vereinigung mit dem Brahman. Und vor allem: er hatte auch gar nicht die Mittel in der Hand, zu diesen Heilszielen zu gelangen. Denn dafür war Muße für die Meditation erforderlich, um die Gnosis zu erlangen. Diese Muße hatte er nicht und sah sich in aller Regel nicht veranlasst, sie sich durch ein Leben als Büßer im Walde zu verschaffen … Die Art der Erlösung, welche dem Bettelmönch versprochen wurde, war nicht nach dem Geschmack sozial gedrückter Schichten, die vielmehr einen Entgelt im Jenseits oder aber zukünftige Diesseits-Hoffnungen verlangt hätten.« 5
Bei meinem Göttinger Gesprächpartner Prof. HEINZ BECHERT , der sich erst später öffentlich als Buddhist bekannte, stoße ich mit meiner Analyse der verschiedenen Paradigmen des Buddhismus auf wenig Verständnis. Dieses Denken ist ihm völlig neu, und die gemeinsame Publikation unserer Dialogvorlesungen über »Christentum und Weltreligionen« (1984) wäre fast gescheitert, wenn ich nicht die Hilfe von Lic. phil. ALOIS PAYER , eine Zeit lang buddhistischer Mönch, damals bestens informierter wissenschaftlicher Assistent am Tübinger Lehrstuhl für Indologie, erfahren hätte.
Engagierte Buddhisten
Sowohl in Bangkok wie in Rangun führe ich mit Mönchen wie buddhistischen Laien Gespräche über die Funktion vor allem des Mönchtums, das sich ähnlich wie der Episkopat im mittelalterlichen Katholizismus zu einer mächtigen Hierarchie entwickelt hatte. Einig sind sich alle Mönche im Einsatz für den Frieden. Davon zeugt in Rangun die große Weltfriedens-Pagode, die 1952 zu Ehren des 2500. Todestages Buddhas gebaut wurde.
Leider heißt dies nicht, dass Mönche in jedem Fall friedlich gesinnt sind. Gerade die singhalesischen Mönche in Sri Lanka haben die Unterdrückung der dort schon rund 1000 Jahre ansässigen tamilischen Minderheit und die massiven Militäraktionen gegen sie (mit etwa 100.000 Opfern) unterstützt. Und der
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