Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
bejahen. Und dies alles unter der Bezeichnung Welt-»Ethos«, nicht Welt-»Ethik«. Denn »Ethos« bedeutet die sittliche Grundhaltung und Überzeugung des Menschen, während »Ethik« streng genommen die (philosophische oder theologische) Lehre von sittlichen Haltungen, Werten und Normen bedeutet, oft ein ethisches System wie etwa das von Aristoteles, Thomas von Aquin oder Immanuel Kant.
Im folgenden Jahr, 1991, erscheint bereits eine englisch-amerikanische Ausgabe unter dem Titel » Global Responsibility . In Search of a New World Ethic«. Das Vorwort zu dieser Ausgabe schreibt kein Geringerer als PRINZ PHILIP , der Herzog von Edinburgh, den ich bereits bei drei verschiedenen Gelegenheiten getroffen hatte: Zuerst nur am Rande der ersten Jewish-Muslim-Christian Conference im Schloss Windsor (15.–18. November 1984). Dann treffe ich Prinz Philip 1985 anlässlich meiner Promotion zum Ehrendoktor der Universität Cambridge, wo wir im Anschluss an die Zeremonie mit dem Herzog durch Cambridge hatten marschieren dürfen. Philip ist sehr an der ökumenischen Problematik interessiert (»Ist alles ruhig in Tübingen?«, fragt er bei der Begrüßung auf Deutsch meine Begleitung mit einem verschmitzten Lächeln). Zum dritten Mal treffe ich ihn als Vorsitzenden meiner St. George’s House Ninth Annual Lecture in der wunderbaren gotischen Chapel des Schlosses Windsor vor etwa 850 geladenen Gästen und beim Abendessen mit ihm, der Herzogin von York und Rev. Michael Mann, dem Dean of Windsor, am 18./19. April 1986 (eine edle gravierte Kristallkaraffe erinnert mich daran); am nächsten Morgen schlendere ich mutterseelenallein durch die Säle des Schlosses und entdecke zu meiner großen Freude Hans Holbeins Originalporträt von Sir Thomas More, von dem eine Kopie in meinem Treppenhaus hängt.
Im Vorwort zu »Global Responsibility« nun betont er, es werde in meinem Buch das diskutiert, »was wahrscheinlich die kritischste und herausforderndste Problematik in der Debatte um die Zukunft der menschlichen Zivilisation dieses Globus« sei. Im Englischen wird in der Folge »Global Ethic« gebräuchlicher als »World Ethic«.
Professor LEONARD SWIDLER vom Religion Department der Temple University (Philadelphia), Gründer und Herausgeber des »Journal of Ecumenical Studies«, verfasst nun als pragmatisch denkender Amerikaner einen Aufruf, in welchem er unter anderem die baldige Abfassung einer Erklärung zu einem Weltethos fordert. Dieser Aufruf wird von bedeutenden Theologen und Religionswissenschaftlern unterzeichnet 2 .
Ich selber habe die Gelegenheit, am 15. November 1991 diesen Aufruf im Zusammenhang eines weiteren Vortrags vor den Verantwortlichen der UNESCO in Paris vorzutragen und mit je einem Repräsentanten des Judentums und des Islam zu diskutieren: Großrabbiner RENÉ-SAMUEL SIRAT , Präsident des Conseil permanent de la Conférence des rabbins européens, und TADJINI HADDAM , Rektor des Institut Musulman der Grande Mosquée de Paris. Bei einer Tagung in Istanbul (15.–17. April 1993) halte ich abermals einen Vortrag im Rahmen der UNESCO.
Eine andere wichtige Gelegenheit, das Projekt Weltethos vorzustellen, bildete ein Vortrag vor 200 Personen im Dag-Hammarskjöld-Auditorium der Vereinten Nationen in New York am 15. April 1992. Eingeladen war ich von der Ständigen Vertretung der Schweiz bei der UNO, der interreligiösen Organisation »Temple of Understanding« und der »Pacem in Terris«-Society. Ich spreche zum Thema »Global Responsibility: a New World Ethic in the New World Order«. Nach zwei anstrengenden Tagen in New York mit sehr vielen Medienkontakten habe ich zum Abschluss das vergnügliche Erlebnis, aus Zeitgründen mit dem Hubschrauber zum JFK-Flughafen geflogen zu werden.
Schöner, als mit dem Hubschrauber über Manhattan und den East River zum Kennedy Airport zu fliegen, ist nur noch, dies sei hier angemerkt, in der frischen Luft selber zu fliegen: Dieses einzigartige Erlebnis habe ich ohne jegliche Vorbereitung in meiner Schweizer Heimat am 18. August 1992. Eine unerwartete Gelegenheit nehme ich wahr: Da fliege ich im Tandemflug mit einem Paragleiter vor der gewaltigen Kulisse von Eiger, Mönch und Jungfrau von der Schynigen Platte (auf fast 2000 m Höhe) im Rundflug mit einem wunderbaren Blick über den Thuner- und den Brienzersee etwa 1400 Meter hinunter nach Interlaken. Ein einzigartiges vogelähnliches Freiheitserlebnis! Dass ich trotz ungeeigneten Schuhwerks auf der Wiese vor dem
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