Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
bedecktem Himmel recht melancholisch und lassen nachdenklich über Leben und Tod reden.
Eine besondere Freude ist es mir dann 1995, ein Ehrendoktorat vom Trinity College verliehen zu bekommen. Mit mir wird unter anderem der renommierte Germanist WOLFGANG FRÜHWALD (Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft) ausgezeichnet. Ich fühle mich geehrt, im Namen aller Ehrendoktoren die Dankesrede halten zu dürfen. Im Jahr 2000 schließlich scheinen auch auf irisch-katholischer Seite die Berührungsängste mit mir an ein Ende gekommen zu sein: Vom katholischen University College Dublin werde ich eingeladen, am 8. Mai 2000 einen Vortrag über »Global Ethic – a Challenge for the New Millennium« zu halten – eine Aufgabe, der ich mich gerne unterziehe.
Wie wichtig aber nach wie vor der ständige Dialog in Nordirland – zwischen den irisch-katholischen »Nationalisten« und den britisch-treuen »Loyalisten« oder »Unionisten« – nicht zuletzt für die unteren Gesellschaftsschichten ist, zeigen die 2013 wieder neu aufflammenden Krawalle. Äußerer Anlass ist der Streit um die britische Flagge auf dem Rathaus von Belfast. Der tiefere Grund aber dürfte in der geheimen Angst gerade vieler junger irischer Protestanten vor dem »Ausverkauf an Dublin« und dem irischen Katholizismus liegen. Dessen Krise hat in den ersten Jahren des 3. Jahrtausends einen Höhepunkt erreicht, nicht zuletzt im Zusammenhang mit bestimmten Entwicklungen im Vatikan.
Das domestizierte Konklave (2005)
Am 2. April 2005 stirbt Papst JOHANNES PAUL II. Die Zeit der Sedisvakanz – vom Tod des Papstes bis zur Wahl des Nachfolgers – ist die Zeit der Medien: Sie recherchieren, kritisieren, suggerieren, spekulieren … Ich werde selber in einem Höchstmaß beansprucht. Von allen Seiten kommen Anfragen in allen möglichen Sprachen: durch Rundfunk, Printmedien, Fernsehen. Ich versuche alle Wünsche nach Interviews und Stellungnahmen zu erfüllen, bin ich mir doch bewusst, dass ich nur über die öffentliche Meinung die Papstwahl beeinflussen kann.
Doch auf der anderen Seite läuft der kuriale Apparat auf Hochtouren, dirigiert vom Chef des Kardinalskollegiums, JOSEPH RATZINGER . Er wird später so tun, als habe ihn seine eigene Wahl zum Papst überrascht. Wieweit das stimmt, kann ich nicht beurteilen. Sicher ist nur eines: Joseph Ratzinger hat alles getan, um die Papstwahl im Sinn der römischen Kurie und auch in seinem eigenen zu gestalten.
Der Tag X war ja schon lange erwartet worden. Und Joseph Ratzinger hatte mithilfe des Papstes durch eine genaue Planung und Neuordnung alles bestens vorbereitet: Schon 1996 war eine neue Wahlordnung durch das Apostolische Sendschreiben »Universalis Dominici Gregis« dekretiert worden. Die Leitung der Totenfeier, die straffe Durchführung der Vorbereitung des Konklaves durch geheime Sitzungen des Kardinalskollegiums – alles findet unter seiner Leitung statt. Als Präfekt der Glaubenskongregation wäre er nicht zuständig gewesen. Aber er hat sich rechtzeitig zum Dekan des »Heiligen Kollegiums« ernennen lassen, und als solcher ist er nach der neuen Ordnung für alles und jedes zuständig. Die übrigen Chargen mit schönen Titeln scheinen verblasst, die anderen Kardinäle fungieren als Statisten außer bei der Stimmabgabe im Konklave.
So steht denn Joseph Ratzinger allein der grandios inszenierten Totenfeier auf dem Petersplatz vor. Die anwesenden Staatschefs und Regierungsvertreter samt der ganzen Klerisei können sich ihn schon recht gut als Nachfolger vorstellen. In der Folge aber wird das Kardinalskollegium abgeschottet und den Kardinälen ein Maulkorb verpasst: Anders als in früheren Konklaves durften sie schon vorher nicht mit Vertretern der Medien sprechen. Weder sollten sie von diesen Informationen empfangen, noch sollten sie überhaupt von der öffentlichen Meinung beeinflusst werden. Zugleich werden sie in den folgenden Tagen voll beschäftigt mit neuartigen Vorbereitungssitzungen, die mit liturgischen Übungen verbunden sind. Es werden dabei systematisch die anstehenden Probleme der Kirche besprochen – natürlich alles unter der Leitung des Kardinaldekans Ratzinger, der schon als ehemaliger Tübinger Fakultätsdekan Diskussionen entsprechend zu strukturieren, kanalisieren und dirigieren vermochte. Natürlich gibt es genügend Vertreter der kurialen Sicht, welche die Kardinäle auf die römische Linie zu bringen versuchen.
Schließlich findet auch erstmalig ein großer
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