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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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Kriterien zusammen. Sie sind nicht beliebig. Sie sind am Neuen Testament, an der großen katholischen Tradition und am Zweiten Vatikanischen Konzil ausgerichtet.
    (1) Ein evangelisch gesinnter Papst : Wir leben in einer ernsten Zeit – nicht nur weil in den meisten Ländern der Priesternachwuchs, sondern auch die Identifizierung der jungen Generation und der Frauen mit der Kirche und überhaupt der Einfluß der Kirche in der Öffentlichkeit rapide zurückgehen. In dieser Stunde braucht es einen Papst, der sich grundlegend an den Erfordernissen des Evangeliums Jesu Christi orientiert und der gerade so einen Blick für die Bedürfnisse der heutigen Menschen hat.
    Niemand will zurück in die Zeiten einer mittelalterlichen Papstkirche, wo ein theokratisch regierender päpstlicher Monarch meinte, über die apostolischen Kirchen des Ostens und die Kirchen des Westens, ja, über die Gewissen der Menschen absolutistisch herrschen und gar weltlichen Regierungen die Moral diktieren zu können.
    Selbst Papst Wojtyła ist es trotz aller Reden und Reisen nicht gelungen, seine rigorosen Auffassungen insbesondere in Sexual- und Ehemoral gegen die überwältigende Mehrheit auch nur der Katholiken und die nationalen Parlamente (etwa in Polen) durchzusetzen. Alle vatikanischen Verlautbarungen, disziplinarischen Sanktionen und alle offenen und versteckten Einflußnahmen haben kaum etwas erreicht. Im Gegenteil, die ›Evangelisierungs‹-Kampagne hat die Ängste vor dem geistlichen Imperialismus Roms geschürt und zur Ablehnung des Namens Gottes und sogar des Christentums als Kulturfaktor in der Präambel der Europäischen Verfassung unausgesprochen beigetragen.
    Vielerfahrene wie Sie wissen: Die gut organisierten päpstlichen Massenveranstaltungen können nicht verbergen, daß es nicht gut steht um unsere Kirche. Die Kader sind ausgedünnt, der Nachwuchs fehlt, in Bälde werden nicht nur im deutschen Sprachraum fast zwei Drittel der Pfarreien ohne ordinierte Seelsorger und ohne regelmäßige Eucharistiefeiern sein. Der zölibatäre Klerus ist im Aussterben und durch die Pädophilie-Skandale von USA bis Österreich in seiner Glaubwürdigkeit schwer erschüttert …
    Meine erste große Bitte anSie ist, vorgetragen im Namen vieler: Wählen Sie einen Papst, der sich nicht ans mittelalterliche Kirchenrecht klammert, sondern der sich nach dem Kompaß des Evangeliums richtet, das für alle anstehenden Probleme in Richtung Freiheit, Barmherzigkeit und Menschenfreundlichkeit weist. Der nächste Papst braucht, wenn er das Vertrauen der Menschen gewinnen will, nicht nur eine formale, juridische, institutionelle, sondern eine persönliche, sachliche, charismatische Autorität.
    Mit einem Wort: Wählen Sie, liebe Mitbrüder, einen evangelisch gesinnten Papst , der schlicht so handelt, wie der Herr selber handelte, von dem es heißt: ›Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben‹ (Jo 14,6).
    (2) Ein kollegialer Mit-Bischof : Längst hinter uns liegt das 19. Jh., da man in Rom zur Abwehr des modernen Liberalismus und Sozialismus meinte, mit Zentralisierung und Bürokratisierung reagieren zu müssen. Damals versuchte man das mittelalterlich-gegenreformatorische Paradigma von Kirche gegen die Moderne neu durchzusetzen. Ich erinnere mich genau an die vielen Gespräche mit Theologen und Bischöfen während des Zweiten Vatikanischen Konzils. Einig war man sich darin, daß Zentralismus, Iuridismus und Triumphalismus Irrwege sind. Das alles sollte durch das Konzil überwunden werden.
    Vielerfahrene wie Sie wissen, daß in den vergangenen Jahrzehnten vielfach gegen den Geist der Kollegialität verstoßen wurde. Bischöfe wurden auf die vatikanische Linie festgelegt, was auf Kosten ihrer Glaubwürdigkeit vor ihrem Klerus und Kirchenvolk ging.
    Deshalb meine zweite große Bitte an Sie: Wählen Sie einen Papst,
    – der die in der Kirche seit den ersten Jahrhunderten gegebene und vom Vatikanum II feierlich bestätigte Kollegialität des römischen Bischofs mit den anderen Bischöfen wieder herstellt;
    – der die Kirche nicht einseitig als Machtapparat versteht, was Dialog und echte Demokratie ausschließt, sondern als Glaubensgemeinschaft, als Volk Gottes, in dessen Dienst Papst und Bischöfe stehen;
    – der die kirchlichen Ämter also nicht als ›heilige Herrschaft‹ (= Hierarchie) ansieht, sondern als Dienst (= Diakonia) an den Menschen;
    – der sich nicht als Alleinherrscher präsentiert, sondern als leitender Bischof, eingebunden in das

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