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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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Recht machen Sie am Ende Ihres Briefes darauf aufmerksam, daß ›allzu viele Jahre … uns Altersgenossen und früheren Tübinger Kollegen jetzt ohnehin nicht mehr geschenkt‹ sein werden. Das wird es uns erleichtern, uns ganz dem Urteil des uns erwartenden Herrn zu unterstellen und nicht nach den Benotungen zu fragen, die uns von der Öffentlichkeit zugeteilt werden.
    In diesem Sinn verbleibe ich in freundlicher Verbundenheit im Herrn Ihr
    Joseph Ratzinger
    Papst Benedikt XVI. «
    Am 27. Juni 2005 antworte ich dem Papst auf den Brief, der »mir in Inhalt und Ton Freude bereitet« habe. Herzlich danke ich für seine Gesprächsbereitschaft und füge hinzu: »Selbstverständlich bin ich mir über die Implikationen dieses Gesprächs für die Öffentlichkeit im klaren. Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie die beiden Gesprächstypen klar unterscheiden. So sehr ich stets auf meine Katholizität Wert gelegt habe, so zielte doch mein Brief vom 30.   Mai auf den zweiten von Ihnen beschriebenen Gesprächstypus: auf eine brüderliche Begegnung, ohne den Versuch institutionell verwertbarer Ergebnisse. Selbstverständlich ist es mir auch sehr recht, wenn wir ein Kommuniqué erarbeiten, in dem wir verbindlich der Öffentlichkeit mitteilen, worum es in dieser Begegnung ging und worum nicht.«
    Was das Datum betrifft, weise ich den Papst darauf hin, dass ich im September am Kongress der Academia Europaea zum Einstein-Jahr in Potsdam teilnehmen soll, wo ich über den Ursprung des Kosmos zu reden habe, was ich ungern absagen würde. Ich würde ihm vorab mein am 15.   September erscheinendes Buch »Der Anfang aller Dinge. Naturwissenschaft und Religion« zukommen lassen, welches deutlich mache, »dass wir bei aller unterschiedlichen Beurteilung der Politik des Lehramtes doch in zentralen Fragen christlicher Theologie, die mich nach wie vor intensiv beschäftigen, übereinstimmen«. Und was das Weltethos betreffe, würde ich ihm das kleine Buch»Weltethos – christlich verstanden« zusenden, das ich mit der evangelischen Pfarrerin Dr.   ANGELA RINN-MAURER (Mainz) herausgegeben habe.
    In Castel Gandolfo – freundschaftliche Unterredung
    Am 31.   August 2005, nach meiner Rückkehr von Sursee nach Tübingen, ruft mich der päpstliche Privatsekretär Dr.   GEORG GÄNSWEIN an, um einen gemeinsamen Termin zu finden. Nach einigem telefonischen Hin und Her können wir den Samstag, 24. September in Castel Gandolfo festlegen. Das Gespräch mit Gänswein ist außerordentlich nett und unkompliziert, und die mir bekannte intimere Atmosphäre von Castel Gandolfo scheint mir geeigneter zu sein als der große Palazzo Apostolico des Vatikans, der 1000 Augen hat. Der Sekretär verspricht mir, ein Auto an den Flughafen Fiumicino zu schicken. Und ich betone, dass ich sämtliche Hotel- und Reisekosten aus eigener Tasche bezahlen würde.
    Am 23.   September fliege ich von Berlin über Zürich nach Rom. Dort werde ich von einem Auto des Vatikans abgeholt und direkt nach Castel Gandolfo gefahren. Das Hotel liegt ganz nah beim Päpstlichen Palast. Ich habe einen wunderbaren Blick auf den Albaner See und Rocca di Papa, wo die Schriftstellerin Luise Rinser gelebt hatte. Am nächsten Vormittag, dem 24.   September, mache ich einen kleinen Spaziergang durch Castel Gandolfo und will an der Ecke ein paar Früchte fürs Mittagessen kaufen, befinde dann aber, dass ich vielleicht meine Kräfte noch brauche. Und so gehe ich in das Gartenrestaurant unseres Hotels.
    Zu meiner größten Überraschung sehe ich ein paar Tische weiter den Mann, der mein Kandidat für die Papstwahl gewesen war, Kardinal CARLO MARIA MARTINI , Erzbischof von Mailand. Durch den Kellner schicke ich ihm meine Visitenkarte, und er lädt mich an seinen Tisch ein. Er sei am Morgen beim Papst gewesen, erfahre ich, und habe ihm drei Punkte für die Zukunft vorgeschlagen: Sehr viel weniger tun als der Vorgänger; die Präsidenten der Bischofskonferenzen zu einem freien Meinungsaustausch zusammenrufen; die Führer der Weltreligionen nicht zum Gebet, sondern zu einem mächtigen Zeugnis für Religion in der heutigen Welt zusammenbringen. »Kann Papst Ratzinger sich noch ändern?«, frage ich. Martini zögernd: »Sí, sí, aber nur langsam.« Ratzingers große Chance sei: Er könne in der Kirche Reformen durchsetzen, die er, Martini, als Papst nie hätte durchsetzen können. Und dass er mich, seinen schärfsten Kritiker, nun zu einem Gespräch empfange, sei ein Zeichen der Hoffnung, das sicher in der

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