Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Juli 1983 in Adelholzen/Chiemsee und was zwischen dem Präsidenten der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann, und mir auf dem letzten Katholikentag in Ulm möglich war, müßte doch zwischen Ihnen und mir auch jetzt möglich sein: ein ernsthafter, ehrlicher und freundlicher Austausch auch unterschiedlicher Auffassungen über die Zukunft der Kirche, die uns beiden am Herzen liegt. Dazu gehört nicht zuletzt das Projekt Weltethos, zu dem Sie sich zu meiner Freude vor kurzem grundsätzlich positiv geäußert haben.
So möchte ich Sie denn in aller Form um ein persönliches Gespräch, trotz aller Ihrer Verpflichtungen in möglichst absehbarer Zeit, bitten, für welches ausreichend Zeit zur Verfügung stehen sollte. Ich bin überzeugt, daß dieses Gespräch dem gegenseitigen Verständnis und dem Wohl unserer Kirche dienen wird. Und allzu viele Jahre sind uns Altersgenossen und früheren Tübinger Kollegen jetzt ohnehin nicht mehr geschenkt.
In der Hoffnung auf eine positive Antwort auf meinen Brief sende ich Ihnen freundliche Grüße und Wünsche
Ihr Hans Küng «
Ich lege dem Papst meinen offenen Brief an die Kardinäle bei.
Erfreut bin ich, dass ich schon nach zwei Wochen, am 15. Juni 2005, einen freundlichen Brief als Antwort erhalte. Ich finde es fair, sie ebenfalls in vollem Wortlaut abzudrucken. Ich tue das umso lieber, als Papst Benedikt in diesem Brief in sehr nobler Weise auf mich zugeht.
»Lieber Herr Küng!
Für Ihren freundlichen Brief vom 30. Mai danke ich Ihnen bestens. Dankbar bin ich Ihnen besonders, daß Sie das gebliebene Gemeinsame und den gegenseitigen menschlichen Respekt bei aller Kontroverse unterstreichen, der für Christenmenschen immer selbstverständlich bleiben muß.
Natürlich bin ich zu einem Gespräch mit Ihnen bereit. Ein solches Gespräch wird freilich von allen Seiten sehr aufmerksam beobachtet werden; die unterschiedlichsten Interessenperspektiven werden sich darauf richten und es je auf ihre Weise auszulegen und zu gebrauchen versuchen. Deswegen ist es unerläßlich, daß Ziel und Grenzen der Begegnung genau definiert werden, um Mißbrauch so weit wie möglich zu vermeiden, durch den am Ende der Schaden größer werden könnte als der Nutzen.
Sie haben dankenswerterweise klargestellt, daß Sie nicht um die Rückgabe der Missio canonica bitten werden. Das ist eine wichtige Klärung, der ich eine weitere hinzufügen möchte. Es kann nicht darum gehen festzulegen, ob und inwieweit Ihre Theologie als katholisch im Sinn des Glaubens der katholischen Kirche bezeichnet werden kann bzw. welche Ihrer Positionen innerhalb des katholischen Glaubens und der katholischen Kirche möglich sind und welche nicht. Wenn es Ziel der Begegnung wäre, darüber verbindliche Ergebnisse zu erreichen, müßte der Weg der kirchlichen Ordnung eingehalten werden, das heißt es müßten zunächst die für Sie unmittelbar zuständigen Bischöfe – der Bischof von Basel und der Bischof von Rottenburg-Stuttgart – gehört und ins Gespräch einbezogen werden. Auch innerhalb des heiligen Stuhls müßten dann die entsprechenden Organe eingeschaltet werden. Der Papst ist – das wissen Sie am besten – kein absoluter Monarch; seine Entscheidungsvollmacht und -pflicht setzt die gebührende Form der Beratung voraus. Wenn Sie also Ergebnisse in dieser Richtung für nötig oder wünschenswert hielten, müßte das Gespräch diesen weiteren institutionellen Rahmen erhalten.
Ein persönliches Gespräch ohne diesen institutionellen Kontext ist dann möglich, wenn diese Begegnung von jeder Art von Entscheidungszwängen frei gehalten wird. Dann würde es sich um einen brüderlichen Austausch handeln, bei dem jeder auf seine Weise lernt, aber keiner versucht, Bestätigungen welcher Art auch immer nach Hause zu tragen. Es wäre dann – angesichts aller Erwartungen der Öffentlichkeit – auch notwendig, daß wir selber ein Kommunique erarbeiten, in dem wir – verbindlich für uns beide – der Öffentlichkeit mitteilen, worum es in dieser Begegnung ging und worum nicht.
Ich möchte Sie nun bitten, mir mitzuteilen, welchen Gesprächstypus Sie wählen. Wenn Sie sich für die zweite Hypothese, das heißt für eine brüderliche Begegnung ohne den Versuch institutionell verwertbarer Ergebnisse entscheiden können, werde ich die ›Prefettura della Casa Pontificia‹ bitten, im Mosaik der Termine dieses Herbstes (in Castel Gandolfo) Vorschläge für Sie einzuplanen und Ihnen möglichst bald mitzuteilen.
Mit
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