Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Weltethos . Da dankt er mir auch gleich für das Buch »Weltethos christlich verstanden«. Es sei »sehr schön, dass es ein solches Buch gebe, wie man Weltethos christlich begründen könne«. Und die evangelische Theologin ANGELA RINN - MAURER habe ja einige schöne Beiträge verfasst, die ihm sehr gut gefallen hätten. Ich sage: »Das wird sie sicher sehr freuen, wenn sie das von mir hört.« Er will daraufhin ausdrücklich wissen, was unsere Stiftung tut. Ich schildere ihm vor allem, was wir in Schulen und Erwachsenenbildung tun, und überreiche ihm bei dieser Gelegenheit unsere Ausstellungsbroschüre »Weltreligionen – Weltfrieden – Weltethos«, mit der Widmung, die ich vorher schon daraufgeschrieben hatte: »Für Papst Benedikt XVI. In herzlicher Dankbarkeit für seine Gesprächsbereitschaft, 24. 9. 2005«. Er schaut sie gleich durch, wie sie aufgebaut ist, und wir reden darüber. Ich merke dann aber an: »Das Weltethos ist nichts ›Abstraktes‹, wie Sie einmal geschrieben haben: Hier können Sie sehen, dass das Weltethos so wenig abstrakt ist, wie die Zehn Gebote abstrakt sind. Und in der Weltethos-Erklärung, die ich zu verfassen hatte, kann man auch sehen, wie konkret diese Normen in die heutige Zeit hinein übersetzt werden können.«
Er erklärt dann, er habe mit »abstrakt« nur gemeint, dass »das Ethos eigentlich nur dann wirksam werden kann, wenn es in einer konkreten Religionsgemeinschaft verwurzelt« sei. Ich antworte, das sei zwar richtig und selbstverständlich könne die Religion mit einer Konkretheit argumentieren, wie man das mit einer Weltethos-Erklärung nicht könne. Aber die andere Seite der Problematik sei: Viele Menschen in Europa vor allem, und im Westen überhaupt, aber auch im früheren Ostblock bis China, sind nicht mehr in der Religion verwurzelt und beanspruchen trotzdem, Moral zu haben. Darauf schwenkt er sofort ein: »Selbstverständlich müsste man auch die Ungläubigen einschließen.« Ich sage, dass das Weltethos-Projekt eben von vornherein für Glaubende und Nichtglaubende gedacht worden sei, wobei er zustimmt.
Unterdessen ist die Zeit schon gegen 18 Uhr vorgerückt. Der Papst hatte mir Freiluftarbeiter, wie er weiß, schon vorher vorgeschlagen, ob ich nicht mit ihm im Park spazieren gehen wolle, was ich selbstverständlich mit Freuden bejahte. Zuvor aber will er doch schon zusammenfassen, was in das Kommuniqué kommen solle. Großen Wert legt er darauf, dass die Unterhaltung in einer freundschaftlichen Atmosphäre stattgefunden habe, und er fasst gewandt und konzentriert die drei Hauptpunkte zusammen:
Das Verhältnis von Religion und Naturwissenschaften, zweitens der Dialog der Religionen und drittens die gemeinsamen ethischen Standards des Weltethos. Er hatte übrigens zuvor gefragt, ob man zwei verschiedene Kommuniqués machen solle oder nur eines. Ich habe selbstverständlich für ein gemeinsames Kommuniqué plädiert.
Wir gehen dann hinunter, wo die persönliche Limousine des Papstes schon wartet. Der Chauffeur kniet nieder und küsst ihm die Hand, und ich steige links von ihm ein, vorn beim Chauffeur der Sekretär. So fahren wir dann mit ziemlich scharfem Tempo durch den einsamen Park, der viel ausgedehnter ist, als mir bekannt ist, weil man sonst nie in diesen Teil des Garten hineinkommt. Wir gehen dann durch den schönen Ölgarten spazieren und kommen schließlich zu einer Madonna-Statue, die Pius XI. hier aufstellen ließ, der ja überhaupt damals durch die Lateranverträge das Geld erhalten hatte, um Castel Gandolfo und seine Gärten wunderschön auszubauen. Da steht schon ein brauner Betstuhl, aber der Papst kniet nicht darauf hin, sondern betet stehend mit uns lateinisch den »Angelus Domini«. Ohne alles frömmelnde Drum und Dran, auch nachher nicht, als er mir seine Privatkapelle zeigt. Auf diesem Spaziergang durch den Park sprechen wir vor allem über internationale und deutsche Politik. Die Lage der katholischen Kirche in Irland und Spanien sieht er nicht weniger kritisch als ich.
Auf einen Wink kommt das Auto wieder nachgefahren. Wir fahren in den Palazzo zurück und können uns gleich zum Abendessen setzen. Unser Gespräch setzt sich fort: Auf meine Frage, warum er sich denn in seinen Memoiren so ausführlich und so negativ über die Konfrontation mit den Tübinger 68ern geäußert habe, spricht Benedikt von hässlichen Szenen in Senat und Festsaal der Universität, wo er als Dekan unserer Fakultät hatte dabei sein müssen und sogar der
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