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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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schließen: durch unzweideutige Anerkennung der Evolutionstheorie und differenzierte Bejahung neuer Forschungsgebiete wie Stammzellenforschung.
    – Vertan die Chance, den Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils endlich auch im Vatikan zum Kompass der katholischen Kirche zu machen und ihre Reformen voranzutreiben.
    Der letzte Punkt, verehrte Bischöfe, ist besonders schwerwiegend. Immer wieder relativiert dieser Papst die Konzilstexte und interpretiert sie gegen den Geist der Konzilsväter nach rückwärts. Er stellt sich sogar ausdrücklich gegen das Ökumenische Konzil, das nach katholischem Kirchenrecht die höchste Autorität in der katholischen Kirche darstellt:
    – Er hat außerhalb der katholischen Kirche illegal ordinierte Bischöfe der traditionalistischen Pius-Bruderschaft, die das Konzil in zentralen Punkten ablehnen, ohne Vorbedingungen in die Kirche aufgenommen.
    – Er fördert mit allen Mitteln die mittelalterliche Tridentinische Messe und feiert selber die Eucharistiefeier gelegentlich auf Latein mit dem Rücken zum Volk.
    – Er realisiert nicht die in offiziellen ökumenischen Dokumenten (ARCIC) vorgezeichnete Verständigung mit der Anglikanischen Kirche, sondern versucht verheiratete anglikanische Geistliche durch Verzicht auf die Zölibatsverpflichtung in die römisch-katholische Kirche zu locken.
    – Er hat durch Ernennung antikonziliarer Chefbeamter (Staatssekretariat, Liturgiekongregation u. a.) und reaktionärer Bischöfe in aller Welt die antikonziliaren Kräfte in der Kirche gestärkt.
    Papst Benedikt XVI. scheint sich zunehmend von der großen Mehrheit des Kirchenvolkes zu entfernen, das sich ohnehin immer weniger um Rom kümmert und sich bestenfalls noch mit Ortsgemeinde und Ortsbischof identifiziert.
    Ich weiß, dass auch viele von Ihnen darunter leiden: Der Papst wird in seiner antikonziliaren Politik voll unterstützt von der Römischen Kurie . Diese versucht Kritik in Episkopat und Kirche zu ersticken und Kritiker mit allen Mitteln zu diskreditieren. Durch erneute barocke Prachtentfaltung und medienwirksame Manifestationen versucht man in Rom eine starke Kirche mit einem absolutistischen ›Stellvertreter Christi‹ zu demonstrieren, der legislative, exekutive und judikative Gewalt in seiner Hand vereint. Doch Benedikts Restaurationspolitik ist gescheitert. Alle seine Auftritte, Reisen und Dokumente vermochten die Auffassung der meisten Katholiken in kontroversen Fragen, besonders auch der Sexualmoral, nicht im Sinne römischer Doktrin zu verändern. Und selbst päpstliche Jugendtreffen, besucht vor allem von konservativen charismatischen Gruppierungen, konnten weder die Kirchenaustritte bremsen noch mehr Priesterberufungen wecken.
    Gerade Sie als Bischöfe werden es zutiefst bedauern: Zehntausende Priester haben seit dem Konzil, vor allem wegen des Zölibatsgesetzes, ihr Amt aufgegeben. Der Nachwuchs an Priestern, aber auch an Ordensleuten, Schwestern und Laienbrüdern, hat in quantitativer wie qualitativer Hinsicht abgenommen. Resignation und Frustration breiten sich im Klerus und gerade unter den aktivsten Kirchenmitgliedern aus. Viele fühlen sich mit ihren Nöten im Stich gelassen und leiden an der Kirche. In vielen Ihrer Diözesen dürfte es so sein: immer mehr leere Kirchen, Priesterseminarien, Pfarrhäuser. In manchen Ländern werden Kirchgemeinden wegen Priestermangel, oft gegen ihren Willen, zusammengelegt zu riesigen ›Seelsorgeeinheiten‹, in denen die wenigen Priester völlig überlastet sind und wodurch eine Kirchenreform nur vorgetäuscht wird.
    Und nun kommen zu den vielen krisenhaften Entwicklungen auch noch himmelschreiende Skandale: vor allem der Missbrauch von Tausenden von Kindern und Jugendlichen durch Kleriker, in den Vereinigten Staaten, Irland, Deutschland und anderen Ländern – dies alles verbunden mit einer nie dagewesenen Führungs- und Vertrauenskrise. Es darf nicht verschwiegen werden, dass das weltweit in Kraft gesetzte Vertuschungssystem von klerikalen Sexualvergehen gesteuert war von der römischen Glaubenskongregation Kardinal Ratzingers (1981   –   2005), wo schon unter Johannes Paul II. unter strengster Geheimhaltung die Fälle gesammelt wurden. Noch am 18. Mai 2001 sandte Ratzinger ein feierliches Schreiben über die schwereren Vergehen (›Epistula de delictis gravioribus‹) an alle Bischöfe. Darin werden die Missbrauchsfälle unter das ›Secretum Pontificium‹ gestellt, bei dessen Verletzung man sich schwere Kirchenstrafen

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