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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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zuziehen kann. Zu Recht fordern deshalb viele vom damaligen Präfekten und jetzigen Papst ein persönliches ›Mea culpa‹. Doch leider hat er in der Karwoche die Gelegenheit dafür verpasst. Stattdessen hat er sich am Ostersonntag ›urbi et orbi‹ vom Kardinaldekan seine Unschuld attestieren lassen.
    Die Folgen all der Skandale für das Ansehen der katholischen Kirche sind verheerend. Dies wird unterdessen auch von hochrangigen Amtsträgern bestätigt. Zahllose untadelige und hochengagierte Seelsorger und Jugenderzieher leiden unter einem Pauschalverdacht. Sie, verehrte Bischöfe, müssen sich der Frage stellen, wie es denn mit unserer Kirche und Ihrer Diözese in Zukunft weitergehen solle. Doch möchte ich Ihnen nicht ein Reformprogramm skizzieren; das habe ich vor und nach dem Konzil mehrmals getan. Ich möchte Ihnen nur sechs Vorschläge machen, von denen ich überzeugt bin, dass sie von Millionen von Katholiken, die keine Stimme haben, mitgetragen werden:
    1. Nicht schweigen : Durch Schweigen machen Sie sich angesichts so vieler schwerer Missstände mitschuldig. Vielmehr sollten Sie dort, wo Sie bestimmte Gesetze, Anordnungen und Maßnahmen für kontraproduktiv halten, dies auch in aller Öffentlichkeit sagen. Schicken Sie keine Ergebenheitsadressen nach Rom, sondern Reformforderungen!
    2. Reformen anpacken :So viele in Kirche und Episkopat klagen über Rom, ohne selber etwas zu tun. Aber wenn heute in einer Diözese oder Gemeinde der Gottesdienst nicht mehr besucht, die Seelsorge wirkungsarm, die Offenheit gegenüber den Nöten der Welt beschränkt, die ökumenische Zusammenarbeit minimal ist, dann kann die Schuld nicht einfach auf Rom abgeschoben werden. Ob Bischof, Priester oder Laie – jeder tue selber etwas für die Erneuerung der Kirche in seinem größeren oder kleineren Lebensbereich. Viel Großes in den Gemeinden und in der gesamten Kirche ist durch die Initiative Einzelner oder kleiner Gruppen in Gang gekommen. Als Bischof sollten Sie solche Initiativen unterstützen und fördern und gerade jetzt auf die berechtigten Klagen der Gläubigen eingehen.
    3. In Kollegialität vorgehen : Das Konzil hat nach heftiger Debatte und gegen anhaltende kuriale Opposition die Kollegialität von Papst und Bischöfen dekretiert – im Sinn der Apostelgeschichte, wo Petrus auch nicht ohne das Apostelkollegium tätig war. Aber Päpste und Kurie haben in der nachkonziliaren Zeit diese zentrale Konzilsentscheidung ignoriert. Seit Papst Paul VI. schon zwei Jahre nach dem Konzil – ohne jegliche Beratung mit dem Episkopat – eine Enzyklika zur Verteidigung des umstrittenen Zölibatsgesetzes veröffentlicht hatte, wurde wieder im alten unkollegialen Stil päpstliches Lehramt und Politik betrieben. Bis hinein in die Liturgie präsentiert sich der Papst als Autokrat, gegenüber dem die Bischöfe, mit denen er sich gerne umgibt, wie Statisten ohne Recht und Stimme wirken. Deshalb sollten Sie, verehrte Bischöfe, nicht nur als Einzelne handeln, sondern in Gemeinschaft mit den anderen Bischöfen, den Priestern und dem Kirchenvolk, Männern und Frauen.
    4. Uneingeschränkter Gehorsam allein Gott geschuldet : Sie alle haben in der feierlichen Bischofsweihe einen uneingeschränkten Gehorsamseid gegenüber dem Papst abgelegt. Aber Sie wissen auch, dass uneingeschränkter Gehorsam nie einer menschlichen Autorität, sondern Gott allein geschuldet ist. Sie dürfen sich deshalb durch Ihren Eid nicht gehindert sehen, die Wahrheit zu sagen über die gegenwärtige Krise der Kirche, Ihrer Diözese und Ihres Landes. Ganz nach dem Beispiel des Apostels Paulus, der dem Petrus ›ins Angesicht widerstand, weil er sich selber ins Unrecht gesetzt hatte‹ (Gal 2,11)! Ein Druck auf die römischen Autoritäten im Geist christlicher Brüderlichkeit kann legitim sein, wo diese dem Geist des Evangeliums und ihrem Auftrag nicht entsprechen. Volkssprache in der Liturgie, Änderung der Mischehenbestimmungen, Bejahung von Toleranz, Demokratie, Menschenrechten, ökumenische Verständigung und so vieles ist nur durch beharrlichen Druck von unten erreicht worden.
    5. Regionale Lösungen anstreben : Im Vatikan stellt man sich oft taub gegenüber berechtigten Forderungen aus Episkopat, Priesterschaft und Laienschaft. Umso mehr müssten in kluger Weise regionale Lösungen angestrebt werden. Ein besonders heikles Problem, das wissen Sie, ist das aus dem Mittelalter stammende Zölibatsgesetz, das gerade im Kontext der Missbrauchsskandale zu Recht weltweit

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