Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
können – telefonisch, brieflich und bei privaten Besuchen.
Mein alter tschechischer Freund KAREL FLOSS , Philosophie-Dozent und Publizist, der viel für die Verbreitung meiner Theologie in Tschechien getan hat, schreibt über mich 2012 in einem schönen Band mit seinen gesammelten Aufsätzen: »Einer unserer katholischen Bischöfe hat mir nur ins Ohr geflüstert, damit die anderen es nicht hören: wir danken Ihnen für alles, was Sie um Küng machen, wir brauchen es sehr.« 6
Erblast für den Nachfolger: Putinisierung – Re-Italianisierung – Machiavellismus
Auch ein »Theologenpapst« könnte ein effizienter Leiter der Kirche sein, wenn er vor seiner Amtszeit seine theologischen Hausaufgaben erledigt hätte und sich jetzt mit voller Kraft auf die Leitung der Kirche konzentrieren könnte. Aber leider ist beides bei Joseph Ratzinger nicht der Fall. Da er als Papst noch unbedingt seine Bücher schreiben will und gerne theologische Monologe hält, entgleitet ihm die Kontrolle über den kurialen Apparat immer mehr. Und dies, obwohl er meint, durch die Einsetzung von früheren Untergebenen für ein sicheres Funktionieren gesorgt zu haben. Drei Phänomene können als Symptome für diese besorgniserregende Entwicklung dienen, die sich für seinen Nachfolger buchstäblich als Erblast erweisen wird.
Putinisierung :Früher hat man das römische System mit dem kommunistischen verglichen, in dem auch eine einzige Person an der Spitze alles zu sagen hatte. Heute würde man eher von einer Phase der »Putinisierung« der katholischen Kirche reden. Selbstverständlich will ich nicht den »Heiligen Vater« als Person mit dem unheiligen russischen Staatsmann WLADIMIR PUTIN vergleichen. Aber strukturell, politisch gesehen, finden sich viele Ähnlichkeiten in Bezug auf Politik und Strategie. Putin hatte ja auch ein Erbe von demokratischen Reformen übernommen. Nach dem vereitelten Putsch 1991 hatte es Elemente lebendiger Demokratie gegeben. Er tut aber alles, um sie möglichst zurückzunehmen. In der Kirche hatten wir das Konzil, das eine Erneuerung und ökumenische Verständigung initiierte. Doch selbst Pessimisten haben sich nicht vorstellen können, dass solche Rückschläge danach möglich wären. Die Restaurationspolitik des polnischen Papstes seit den 1980er-Jahren macht es möglich, dass schließlich der gleich gesinnte Chef der hochgeheimen Glaubensinquisition – und es ist immer noch Inquisition, auch wenn es heute »Glaubenslehre« heißt – zum Papst gewählt wird. Eine Parallele zur Ernennung des Geheimdienstchefs Putin zum russischen Staatschef ist nicht von der Hand zu weisen.
Dies ist ein gewagter Vergleich, ich weiß, und er soll natürlich nicht überstrapaziert werden. Aber leider sind bei aller Anerkennung des Positiven analoge negative Entwicklungen nicht zu übersehen. Praktisch haben Ratzinger wie Putin ihre ehemaligen Mitarbeiter in führende Positionen gebracht und andere, die ihnen missliebig waren, kaltgestellt. Sie wollen beide das System durch autoritäre Politik »stabilisieren« gegen Feinde von außen und im Innern. Man könnte leicht noch weitere Vergleiche ziehen: Unter Putins Herrschaft Entmachtung des Parlaments, unter der Herrschaft Wojtyła/Ratzinger Entmachtung der Bischofssynode. Putin degradiert die Provinzgouverneure zu Befehlsempfängern, Ratzinger genauso die Bischöfe. So bildet sich wie im Dunstkreis des Kremls so auch in dem des Vatikans eine konformistische »Nomenklatura«, die Karrieregeist, Machtmissbrauch und Resistenz gegen echte Reformen zeigt. Putin kreierte DMITRI MEDWEDEW zu seinem Ministerpräsidenten, Ratzinger seinen Assistenten TARCISIO BERTONE (aus seiner Zeit als Chef der Glaubensbehörde) zum Kardinalstaatssekretär und Stellvertreter des Papstes. Während der Kremlchef periodisch wiedergewählt werden muss, darf der Bischof von Rom auch jenseits der vom Konzil festgelegten Altersgrenze von 75 Jahren beliebig lang, unter Umständen sogar todkrank und handlungsunfähig, im Amt bleiben.
Re-Italianisierung :Die Internationalisierung der Kurie war eines der großen Anliegen des Konzils gewesen. Die Päpste haben denn auch eine Internationalisierung durchgeführt, freilich nur eine der Nationen und nicht eine der Mentalitäten. Kuriale hatten in jedem Fall römisch gesinnt zu sein und nicht zur Kritik zu neigen. Als vorzügliches Herrschaftsinstrument dient den Päpsten das Kardinalskollegium, über dessen Zusammensetzung sie – anders als beim Bischofskollegium
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