Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Forschung und Lehre auf, unter denen sowohl Professoren wie Studenten zu leiden beginnen. Ich wage damals die Prognose, dass die katholische Theologie einen Schrumpfungsprozess durchmachen würde: Die großen Alten (Rahner, Balthasar, Haag, Congar, Chenu, de Lubac, …) würden sterben, einige Begabte meiner Generation würden sich anpassen und in die Hierarchie überwechseln (Lehmann, Kasper, …), um so der theologischen Auseinandersetzung möglichst zu entgehen. Nur ein Teil würde auf der Linie des Konzils weiterdenken und -publizieren.
40 Jahre später hat sich meine Prognose leider bewahrheitet. Doch gibt es erfreulicherweise an vielen Universitäten weiterhin reformorientierte Professoren und vor allem Professorinnen – nicht nur unter meinen Schülern –, die mutig die schwierige Gratwanderung zwischen Freiheit des theologischen Denkens und Redens und kirchlicher Loyalität auf sich nehmen. Ein ermutigendes Zeichen ist im Februar 2011 ein Memorandum zur Kirchenreform, »Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch«, das von einer Gruppe von Universitätstheologen und -theologinnen verfasst und von über 300 weiteren Theologen weltweit unterschrieben wird.
Doch niemand hat ahnen können, wie sich die Situation in den theologischen Fakultäten unter den Restaurationspäpsten Wojtyła und Ratzinger verschärfen würde. Das Studium der katholischen Theologie ist heute für freie und kreative Köpfe wenig attraktiv. Viele brennende Themen sind tabuisiert, und die Berufsaussichten in der Kirche und an theologischen Fakultäten sind für Laien und besonders für Frauen immer geringer geworden. Von den Berufsaussichten in der römischen Kurie ganz zu schweigen. Man kann natürlich manches auch mit Humor nehmen. So habe ich aus dem Kloster Einsiedeln folgenden Witz gehört: »Eine Schnecke und eine Ziege wetten, wer zuerst im Machtzentrum der katholischen Kirche in Rom ankomme. Die Ziege gibt sich siegessicher. Aber die Schnecke macht das Rennen, denn mit Schleimen kommt man im Vatikan weiter als mit Meckern …«
So ist es denn nicht erstaunlich, dass eine von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebene Studie »Zur Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses in der katholischen Theologie«, die im März 2012 veröffentlicht wird, eine dramatische Entwicklung aufzeigt. Nur noch 2200 Studenten absolvieren ein Vollstudium der katholischen Theologie, gerade halb so viele wie 15 Jahre zuvor. Frauen interessieren sich so gut wie gar nicht mehr für das Studium der katholischen Theologie, da sie keine Karrierechancen in katholischen Einrichtungen haben. Aber auch die Zahl der Professoren ist eingebrochen: Es gibt 19 Prozent weniger Professuren als fünf Jahre zuvor, und im akademischen Mittelbau sind die Stellen um 20 Prozent zurückgegangen. Seit 2006 ist die Zahl der Promotionen um ein Viertel gesunken. Vor allem für die lehramtlich gegängelte Moraltheologie sind kaum noch Bewerber auf Lehrstühle zu finden. So ist wohl in Zukunft die Schließung von Fakultäten oder zumindest ihre starke Verkleinerung nicht zu vermeiden. Die Folge: Die Stimmen der katholischen Theologie werden im öffentlichen Diskurs kaum noch ernst genommen. Umso dankbarer muss ich sein, dass meine Bücher und Vorträge weiterhin ein breites Publikum ansprechen.
Schlimm ist, dass sich in der katholischen Theologie wieder jene Angst einnistet, wie sie vor dem Konzil geherrscht hat. Gegen bestimmte Tendenzen in kirchlich konservativen Kreisen, die theologische Ausbildung ganz in kirchliche Einrichtungen zu verlegen, hat der deutsche Wissenschaftsrat zur Neuordnung der Theologie betont, dass es nicht im Interesse der Gesellschaft wäre, wenn sich die Theologien aus den Universitäten verabschieden würden. »Der moderne demokratische Rechtsstaat hat ein vitales Interesse daran, religiöse Orientierungen seiner Bürger für die Stabilität und Weiterentwicklung des Gemeinwesens fruchtbar zu machen« (»Tagesspiegel«, Berlin, vom 2. 3. 2012).
Kleines Handbuch der Kirchenreform: »Ist die Kirche noch zu retten?« (2011)
Jeder deutsche, österreichische und schweizerische Bischof erhält von mir im Jahr 2011 das Buch »Ist die Kirche noch zu retten?« als Geschenk mit freundlichen Grüßen zugesandt. Selbstverständlich schicke ich es auch an Papst Benedikt. Durch den päpstlichen Privatsekretär lässt er mir seine Bestätigung des Empfangs zukommen und mir erstaunlicherweise »herzliche Grüße« ausrichten. Ob das Hoffnung machen
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