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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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Denunzianten wieder Hochkonjunktur. Nicht ohne Grund werden die Nuntiaturen von reformwilligen Katholiken gerne als »Denunziaturen« apostrophiert. Jeder reformorientierte Pfarrer in Deutschland, auch jeder Bischof oder Professor, muss Angst haben, dass er in Rom denunziert wird. Dazu kommt – der Vatikan liefert über die italienische Fernsehanstalt RAI stundenlange relativ preisgünstige Sendungen in alle Welt – der gewaltige vatikanische Einfluss über die internationalen Medien, wie man exemplarisch beim Papstbesuch in Deutschland 2011 erleben kann.
    Im Jahr 2012 ein neuer Skandal: Benedikt XVI. und sein Kardinalstaatssekretär Bertone ignorieren mehrfach Klagen des Generalsekretärs des Vatikanstaates, Erzbischof CARLO MARIA VIGANÒ , bezüglich Filz und Korruption im Vatikan. Den unbequemen Viganò befördern sie als Apostolischen Nuntius weg ins ferne Washington und schützen ihn nicht gegen Verleumdungen in den Medien. Daraufhin gelangen seine Klagebriefe in die Öffentlichkeit. Die Veröffentlichung mehrerer vatikanischer Geheimdokumente zeugt von einem wachsenden Widerstand gegen den intriganten Staatssekretär und den untätigen, nachlässigen Papst: »Intrigen und Machtkämpfe wie zur Zeit der Renaissance« (»Corriere della Sera«). 7 Die Begnadigung des Kammerdieners PAOLO GABRIELE , der die Dokumente vom Schreibtisch des Papstes gestohlen hatte, vor Weihnachten 2012 – ohne Aufklärung der Hintermänner und Hintergründe und unter Geheimhaltung der Resultate der Befragung der Kurienkardinäle – dient der nachhaltigen Verschleierung der Missstände. Joseph Ratzinger gilt in Italien als der seit Langem unbeliebteste Papst.
    Gegen die Reformverweigerung
    Die Autorität des deutschen Papstes hat auch in Deutschland schwer gelitten, und zwar durch jene Papstreise 2011 , die der Stärkung der päpstlichen Autorität und überhaupt des römischen Systems hätte dienen sollen. Papst Ratzinger selber macht es auch noch für die größten Optimisten klar, dass er erstens keine strukturellen Reformen in der Kirche wünscht und sich zweitens einer echten ökumenischen Verständigung entgegenstellt. So erweist sich die ganze Reise als kontraproduktiv. Die immensen Kosten (allein für die Erzdiözese Freiburg 28 Millionen Euro!) für diesen Personenkult, die von den Gläubigen und von den Steuerzahlern zu begleichen waren, werden zunehmend scharfer Kritik unterzogen.
    Die Lage der katholischen Kirche hatte sich seit dem Jahr 2010 drastisch verschärft. Die Aufdeckung der klerikalen Missbrauchsskandale hat schließlich auch der großen Öffentlichkeit und der römisch-katholischen Hierarchie die Problematik der gesamten kirchlichen Entwicklung der letzten Jahre deutlich gemacht. Selbst uneinsichtige Hierarchen müssen sich schließlich zum Eingeständnis ihrer Verantwortung bekennen. Solange Kirchenfunktionäre zumeist nur miteinander kommunizierten, konnten sie die riesige Kluft zwischen ihrer Wahrnehmung der Kirchenwirklichkeit und der Mehrheit ihres Kirchenvolkes ignorieren. Aber seitdem man die Bischöfe vor die Medien und manchmal auch vor Gerichte und Finanzbehörden zitiert, müssen sie sich wohl oder übel ihrer Verantwortung stellen und Millionenzahlungen (in den USA manchmal beinahe bis zum diözesanen Bankrott) für die Opfer leisten. Das Pochen auf ihre Autorität und die traditionelle Kirchenlehre hilft ihnen da wenig. Leider aber hat sich gerade im Vatikan in den ersten fünf Jahren des Ratzinger-Pontifikats wenig Schuldbewusstsein und Reformbereitschaft gezeigt.
    Eine völlig andere Einstellung als Papst Benedikt legt Kardinal CARLO MARIA MARTINI an den Tag. Im letzten Interview vor seinem Tod stellt auch er die Frage: »Gibt es Hoffnung für die Kirche?« 8 . Die Kirche sei »200 Jahre lang stehengeblieben«: »Die Kirche in den Wohlstandsländern Europas und Amerikas ist müde geworden. Unsere Kultur ist alt, unsere Kirchen sind groß, Häuser sind leer, die Organisation wuchert, unsere Riten und Gewänder sind prächtig. Doch drücken sie das aus, was wir heute sind? Dienen die Kulturgüter, die wir zu pflegen haben, der Verkündigung und den Menschen? Oder binden sie zu sehr unsere Kräfte, sodass wir uns nicht bewegen können, wenn eine Not uns bedrängt?«
    Als bestes Heilmittel gegen die Müdigkeit fordert Martini die Umkehr von Papst und Bischöfen: »Die Kirche – angefangen beim Papst und den Bischöfen – muss sich zu ihren Fehlern bekennen und einen radikalen Weg der

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