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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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Untersuchung nur eine stark blutende Fleischwunde über dem Nasenbein und unter dem Auge, die leicht genäht werden kann. Das Auge bleibt unverletzt.
    Aber auch noch in den letzten Jahren führt mich ein alter, erfahrener Skilehrer, da wir schon die meisten Routen gefahren waren, trotz meines Widerstrebens über den »Langen Zug« zu einem als gefährlich bekannten Steilhang, wo wir völlig allein starten. Ich verfehle den Einstieg, rutsche beim zweiten Schwung aus und stürze ungebremst zuerst auf dem Rücken und dann Kopf voran wie ein Torpedo 300 bis 400 Meter in die Tiefe. Ich schütze meinen Kopf mit den Armen: »Hoffentlich pralle ich nicht auf einen Stein oder Felsen – wie lange, wie lange, wie lange geht es wohl noch?« – für mich schien es eine Ewigkeit. Mein Skilehrer steht hilflos oben am Hang: »Mir stand das Herz still, und erzählen Sie doch bitte nichts im Hotel!«, sagt er, als er schließlich den einen Ski eingesammelt hat und bei mir unten im Tälchen angekommen ist und mir wieder auf die Beine hilft – unverletzt, Gott sei Dank! Einen Schock habe ich deshalb nicht erlitten, bin im Gegenteil an diesem Tag und an den folgenden Tagen weitergefahren. Aber ich bin mir bewusst, das hätte leicht tödlich enden können …
    Drei Jahre später, bei der Weihnachtsfeier 2007 des Teams unserer Stiftung Weltethos, kündige ich zur allgemeinen Überraschung an, dass ich mit meinem 80. Geburtstag am 19. März 2008 meine alpine Skilaufbahn beenden werde. Auch in Lech, wo ich im Januar noch eine Woche Ski fahre, schenkt man meinem Vorsatz keinen Glauben. Mein stark beanspruchter Bewegungsapparat ist schließlich völlig in Ordnung. Die Koordination meiner Beine beim Schwingen reibungslos und keine übermäßige Konditionsschwäche vorhanden: Kriterien, die mein Arzt in der Schweiz bei der Überprüfung meiner körperlichen Fitness empfohlen hatte. Ich hätte also ruhig noch weiter fahren können – zumal da ich übrigens seit meinem 70. Geburtstag als »Schneemandl« alle Bergbahnen und Lifte des riesigen Arlberggebietes praktisch gratis benutzen kann.
    Aber trotz verbesserter Bindungen und Helm sind die Risiken in den letzten Jahren nicht geringer geworden. Meine neuen Carvingski ermöglichen leichteres Wenden, aber auch schnelleres Fahren. Die Lifte sind effizienter, die Wartezeiten vermindert, aber auch die Menschenmassen auf den Pisten größer. Der Schnee aufgrund des Klimawechsels rar, deshalb oft künstlich erzeugt und deshalb härter und weniger griffig. Snowboarder mit ihrem eigenen Stil und Weg gefährden nicht selten andere Skifahrer. Und die gefährlichsten Unfälle sind Kollisionen mit einem anderen Fahrer …
    Doch ich will nicht übertreiben. Bin ich doch all die Jahre im Allgemeinen ohne ernsten Unfall durch die Skisaison gekommen. Jetzt aber sage ich mir: Es ist ein Unterschied, ob bei einem 40-Jährigen oder einem 80-Jährigen eine Sehne reißt oder ein Knochen bricht. Die Heilung dauert möglicherweise doppelt so lang. Andererseits haben meine Verpflichtungen in Tübingen und in der weiten Welt nicht abgenommen, und meine Verantwortung für die Stiftung Weltethos, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darf ich auch nie vergessen.
    Wiewohl es schwerfällt, bleibe ich doch bei meinem vernünftigen Entschluss. Doch eine Überraschung versüßt mir den bitteren Abschied. Zu meinem 80. Geburtstag schreibt mir der Präsident der Fédération Internationale du Ski (FIS), Dr.  GIAN-FRANCO KASPER , am 2. April 2008: »Vor wenigen Tagen durften wir Ihnen zu Ihrem 80. Geburtstag gratulieren, und heute freue ich mich, Ihnen mitteilen zu können, dass der Internationale Skiverband beschlossen hat, Ihnen respektive Ihrer Stiftung als Geburtstagsgeschenk US $ 10.000 zukommen zu lassen.« Zu dem ursprünglich von der FIS geplanten Ethikkomitee, bestehend aus dem früheren UN-Generalsekretär KOFI ANNAN , dem schwedischen UN-Chefinspekteur für den Irak HANS BLIX und mir, ist es nicht gekommen. Aber dem Sportethos gilt zunehmend mein Interesse. Und träge – nein, träge will ich auch in meinem neunten Jahrzehnt auf keinen Fall werden.
    Kein Abschied vom Sport
    Das alte deutsche Sprichwort »Wer rastet, der rostet« gilt für Leib und Seele. Wer nicht ständig tätig bleibt, verliert seine Leistungsfähigkeit. Der aufrechte Gang, durch den der Mensch sich von den anderen Primaten emanzipierte, ist eine Sache des Körpers und des Geistes. Beim bekannten römischen Sprichwort »Mens sana in

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