Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
corpore sano – gesunder Geist in gesundem Körper« wird freilich meist der erste Teil unterschlagen: »Orandum est ut sit …« – es ist darum zu bitten, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper sei. Denn weder die geistige noch die körperliche Gesundheit sind selbstverständliche Gegebenheit, sondern Gegenstand immer wieder neuen Bemühens.
Im Zusammenhang des Eintritts in mein neuntes Jahrzehnt werde ich immer wieder gefragt, was mich denn so fit halte. Jedenfalls nicht irgendwelche Fitnessstudios, Wellnessprogramme oder Gesundheitsmaschinen. Einiges habe ich – im ersten Erinnerungsband war die Rede davon – mit den Genen geschenkt bekommen, eine robuste physische und psychische Gesundheit, die mir außerordentliche körperliche und geistige Strapazen überstehen half. Aber dazu kommt: Ich lebe, aufgrund meiner Erziehung in der Schweiz und in Rom, diszipliniert, bemühe mich um ausgewogene, fettarme Ernährung, rauche nicht, trinke mäßig und beginne jeden Tag mit einigen Beuge- und Streckübungen am offenen Fenster mit Blick auf Natur und Wetter.
Doch für unverletzlich habe ich mich nie gehalten, und mit Verschleißerscheinungen muss ich wie jeder Mensch rechnen. Ein Hörsturz im Jahr 2000, vermutlich durch Überanstrengung ausgelöst, traf glücklicherweise nur mein rechtes Ohr. Nicht auszudenken, wenn einmal – etwa auf den langen, die Ohren belastenden Interkontinentalflügen – auch mein linkes Ohr ernsthaft beschädigt würde … Künstliche Hüft- und Kniegelenke blieben mir bisher erspart, aber eine Handsehnenoperation habe ich hinter mir. Und so trainiere ich denn täglich meine Finger, vor allem meine lebenswichtigen Schreibfinger, um gegen Arthrose anzugehen. Und seit ich merke, dass ich Rückenprobleme bekomme, mache ich neben meinen 100 Rumpfbeugen auch täglich einige Dehnübungen mit einem elastischen Theraband zur Stärkung der Rückenmuskulatur. Zehn Minuten täglich sind allesamt wirksamer als wöchentlich einmal zwei Stunden. Zudem verbinde ich die morgendlichen Übungen mit dem Informationsprogramm des Radios und mit klassischer Musik, was mich sogleich richtig lebendig macht.
Und dann folgen täglich rund 20 Minuten Schwimmen, wenn nicht im Sempachersee, dann im Schwimmbad unseres Tübinger Hauses, verbunden mit heißer und kalter Dusche und verschiedenen Wasserübungen. Schwimmen, ich habe es in meinem ersten Band beschrieben, ist für mich ein Lebenselixier. Schwimmen bringt mir zum Ausgleich für mein stundenlanges Sitzen am Schreibtisch von morgens früh bis spät in die Nacht schon vor dem Frühstück die dringend notwendige körperliche Bewegung, trainiert die Muskeln und schont die Gelenke. Schwimmen gibt mir aber auch geistige Wachheit. Dieses Loslassen und Entspannen im Wasser ist zugleich Entspannen und Regenerieren. Es lässt mich gleichzeitig reflektieren, meditieren, mich besinnen. Schwimmen vermittelt mir ein einzigartiges Gefühl des freien Bewegens und zugleich Getragenseins.
Ein Leben ohne Bewegung kann ich mir nur schwer vorstellen. Anders als das Skifahren kann ich das Schwimmen ohne Risiko täglich auch im hohen Alter praktizieren. Natürlich bin ich mir stets bewusst, dass sich mein Gesundheitszustand jeden Tag dramatisch verändern könnte, dass mich eine Krankheit oder ein Unfall »außer Gefecht setzen« könnte. Gott sei Dank – und das meine ich stets wörtlich – ist bisher bei all meinen körperlichen Anstrengungen und Abenteuern alles gut gegangen, sage ich mir in meinen frühen 80er-Jahren.
Welt-Sport-Ethos
Am 15. April 2003 hält in unserem Rotary Club der Jurist und Richter Dr. h.c. ALFRED SENGLE , früher Vizepräsident und jetzt Sicherheitsbeauftragter des Deutschen Fußballbundes (DFB), einen Vortrag über Sport und Sportrecht. Ich staune über die Komplexität des Materials, das er ausbreitet. Das Sportrecht – vor zwei oder drei Jahrzehnten noch eine höchst einfache Sache – ist inzwischen hundertfach detaillierter und komplizierter geworden. Geht es doch im Sport mehr denn je um viel – und manche sagen sogar: maßlos viel – Geld!
Es ist unübersehbar: Auch die Welt des Sports, wie die Gesellschaft überhaupt, leidet unter einem gewaltigen Ausmaß an Verrechtlichung, Professionalisierung und Kommerzialisierung. Aber meine Frage in der anschließenden Diskussion und im persönlichen Gespräch: »Offensichtlich fehlt es heutzutage nicht an Gesetzen und Gerichten; fehlt es jedoch nicht oft gerade an dem
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