Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
und Staatstheoretikers PLATON , es mögen im Staat die Philosophen die Könige sein. Mir genügt es durchaus, wenn mir noch wenige Jahre des Wirkens geschenkt werden. Im Übrigen nehme ich mein fortgeschrittenes Alter ernst. Auch ich muss in meinem neunten Lebensjahrzehnt mit zunehmenden Beschwerden rechnen und hoffe, sie gut zu bestehen, wie der oben zitierte von mir geschätzte, nur zwei Jahre ältere FRITZ STERN es ausdrückt, der mit seiner jüdischen Familie 1938 vor dem Naziterror aus Deutschland fliehen musste.
Abschied vom alpinen Skilauf
Ein wenig Wehmut erfüllt mich schon, als ich während meiner seit Jahrzehnten üblichen Skiwochen nun Ende Januar 2008 zum letzten Mal über die Skipisten rund um Lech am Arlberg gleite. Ich war ein Skifahrer, der nach jugendlichem Abfahren »im alten Stil« in der Schweiz und fast einem Jahrzehnt Studien im Ausland relativ spät die präzise, am Arlberg zuerst erprobte Parallelschwung-Technik zu erlernen hatte und dem es dann mehr auf korrektes und vorsichtiges als auf schnelles und kühnes Fahren ankam. Aber mit all denen, die es »er-fahren« haben, teile ich die Überzeugung, dass Skifahren eine der faszinierendsten Sportarten unserer Zeit ist.
Schon allein das Wunder der Schneelandschaft: Ich konnte es immer verstehen, dass Menschen aus den tropischen Regionen der Erde dieses Wunder gerne mal erleben möchten, wie da eine ganze Landschaft in wenigen Stunden ihr Gesicht total verändert und sich buchstäblich schneeweiß zeigt. Und welches Wunder auch, wenn man heutzutage, wo es unten in den Tälern oft so wenig Schnee gibt, im Auto hinauffährt in die weiße Berglandschaft über der Nebeldecke und dann mit Bergbahn oder Lift hinauf zu den Gipfeln. Welch unvergleichliches Erlebnis, wenn man, am liebsten natürlich im strahlenden Sonnenschein, über die verschneiten Hänge hinuntergleiten kann. Aber auch welche Herausforderung, wenn man Kälte, Wind, Sturm und Schneefall trotzt und sich jedes Mal freut, dass man wieder heil zurückgekommen ist ins warme Hotel. Ich habe schon in meinen früheren »Erinnerungen« berichtet, wie sehr ich die klare, kalte Luft der Alpen liebe, hier mein oft gequältes Hirn »durchlüften« kann und mich in der Hälfte der Zeit ebenso gut erhole wie am Meer unter Palmen. Und was für herrliche Erinnerungen habe ich doch an die wunderbaren Skilandschaften meiner Schweizer Heimat: etwa in Wengen vor Eiger, Mönch und Jungfrau oder in Davos-Klosters mit seinen rund 300 Kilometer Skipisten oder – für mich das schönste Panorama der Alpen überhaupt – im Schatten des Matterhorn über den Theodulgletscher oder auch vom Gornergrat hinunter nach Zermatt.
Aber schließlich ist doch Lech am Arlberg , relativ nahe bei Tübingen, meine Skiheimat geworden – dieser sympathisch dörflich gebliebene Ort auf rund 1500 Meter Höhe mit seiner österreichischen Gastlichkeit, mit Bergbahnen und Lifts, die man buchstäblich von der Hoteltür aus erreichen kann. Ungezählt die Erlebnisse auf dem »Weißen Ring«: rund um Lech von einem Berg zum anderen und auch auf Ausflügen nach St. Anton und St. Christoph – nicht zu vergessen die schönen Gottesdienste zu Weihnachten und Neujahr in der neuen größeren, ganz aus Holz gestalteten Dorfkirche.
Aber man kann auch nicht übersehen: Skifahren in den Alpen ist und bleibt ein Risikosport , für den Kluge eine Spezialversicherung abschließen. Ein Drittel der rund 150.000 Sportunfälle gehen nach einer Mitteilung der schweizerischen Unfallversicherung (SUVA) von 2008 auf Wintersportunfälle zurück. Im Bruchteil einer Sekunde kann es geschehen: Jeder Skifahrer kann von Abenteuern und Stürzen berichten, von Kollisionen mit anderen, aber auch von eigenen Unvorsichtigkeiten und ausgesprochenen Dummheiten. Unvergessen etwa eine Abfahrt mit Marianne Saur gegen alle guten Ratschläge über den vereisten Corvatschgletscher im Engadin hinunter nach Sils Maria. Oder vom Kleinen Matterhorn auf fast 4000 Meter Höhe über die unsichere Piste ins italienische Cervinia.
Doch nur zweimal bin ich ernsthaft gefährdet. Als in Lech ein unerfahrener Skilehrer unsere Gruppe nach Neuschnee in eine nur schmal gewalzte steile Strecke hineinführt und ich ungewollt in eine Schussfahrt gerate, stürze ich schließlich Kopf voran in eine Mulde und bleibe mit blutüberströmtem Auge im Schnee liegen. »Die Skispitze hat dir das Auge zerstört«, ist mein erster Gedanke. Zu meinem großen Glück ergibt die nähere
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