Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
meinem Haus erscheint und als Leser meiner Bücher eine glänzende »Laudatio« aus dem Stegreif zu formulieren imstande ist, wird mir im Rahmen des Geburtstagsempfangs die Staufermedaille des Landes Baden-Württemberg in Gold überreicht.
Noch zu Zeiten des Nonkonformisten GIORDANO BRUNO (16. Jh.) wäre ich vermutlich auf päpstliches Geheiß verbrannt worden, aber in unserer demokratischen Welt kann ich weiterleben und -wirken und werde von Papst Joseph Ratzinger schon kurz nach seiner Wahl sogar zu einem Gespräch empfangen. Oft denke ich und werde in vielen Briefen darin bestätigt: Wenn in unserer Kirche nur ein klein wenig mehr »Demokratie« (im Sinne der Partizipation aller nach dem Vorbild urchristlicher Gemeinden) herrschen würde und so etwas wie Volksabstimmungen möglich wäre, dann wären viele meiner Desiderate schon längst verwirklicht, freilich auch nicht wenige klerikale Machthaber ausgebootet worden. Alle Meinungsumfragen belegen es immer wieder: Die Menschen, katholische und nicht katholische, wünschen sich ernsthafte Reformen in unserer Kirche und ökumenische Verständigung.
Aber weil gerade Papst Benedikt dies nicht will, ja, weil er auf seiner letzten Deutschlandreise 2011 ausdrücklich Reformen (von 80 Prozent der Deutschen gewünscht!) und ernsthafte ökumenische Verständigung ablehnte, verspielt er einen Großteil seiner ursprünglich empfangenen Sympathien. Und als man 2012, sieben Jahre nach seinem Amtsantritt, hört, dass kaum unter einem anderen Pontifikat der neueren Zeit im Vatikan so viel Korruption und Misswirtschaft geherrscht habe wie unter Benedikt XVI. (eine Illustration bietet der von Gianluigi Nuzzi veröffentlichte Dokumentationsband »Sua Santità«, Mailand 2012; dt. »Seine Heiligkeit«, Piper Verlag, München 2012), muss sich dieser Papst Fragen von den Medien gefallen lassen, ob mit ihm wirklich der richtige Mann zum Papst gewählt worden sei. Sein überraschender Rücktritt 2013 – auf den ich im »Epilog« noch ausführlich zurückkommen werde – steht unter keinem guten Vorzeichen, wird ihm aber einen guten Platz in der Kirchengeschichte des 21. Jahrhunderts sichern. Doch muss ich es ansprechen: Ratzinger und sein Vorgänger Wojtyła haben der Kirche einen Scherbenhaufen hinterlassen.
RUDOLF SCHERMANN , verdienter Seelsorger und angesehener Herausgeber der österreichischen Monatszeitschrift »Kirche in«, spricht – nicht nur im Blick auf Österreich – ungeschminkt von einem »Bankrott der Ära Ratzinger-Wojtyła«. Doch katholische Hierarchen und ihre publizistischen Helfershelfer machen für diese Krise gerne allein die säkulare Welt, die laxe Moral der Menschen und die Auflösung der Werte verantwortlich. Darf man sich dies so leicht machen? Viele der Probleme sind hausgemacht, die Krise ist vor allem selbstverschuldet. Gegen alle Intentionen des Zweiten Vatikanischen Konzils wurde das mittelalterliche römische System, ein zentralistischer Machtapparat mit totalitären Zügen, durch geschickte und rücksichtslose Personal- und Lehramtspolitik restauriert: Bischöfe gleichgeschaltet, Seelsorger überlastet, Theologen mit Maulkörben versehen, Laien rechtlos gehalten, Frauen diskriminiert, nationale Synoden und KirchenVolksBegehren ignoriert, dazu Sexskandale, Diskussionsverbote, liturgische Gängelei, Predigtverbot für Laientheologen, Denunzierungsaufforderung, Verhinderung der Abendmahlsgemeinschaft – an alldem ist kaum »die Welt« schuld!
So bleibe ich mehr denn je überzeugt, dass das mittelalterliche römische System keine Zukunft hat und früher oder später um des Überlebens der katholischen Kirche willen aufgegeben werden wird. Qui vivra verra, wer leben wird, wird sehen!
XII. Am Abend des Lebens
»Mir geht es im Ganzen gut, den Altersbeschwerden noch besser.«
Brief des deutsch-amerikanischen Historikers Fritz Stern
(Columbia University/New York) vom 20. Juni 2012 an den Verfasser
»Als Katholik bin ich traurig, dass Du schon so alt bist. Unsere Kirche hätte solche Theologen wie Dich bitter notwendig.« So schreibt mir zu meinem 80. Geburtstag mein Cousin, der Agraringenieur HANS GUT aus Hochdorf (Kanton Luzern). Diese rührende Äußerung nehme ich mit dem gleichen Lächeln wie den oft gehörten frommen Wunsch, ich möge eines Tages Papst werden. Da habe ich ja nun die Weichen für meine Karriere schon in jungen Jahren in eine ganz andere Richtung gestellt. Und ich weiß um die Vergeblichkeit des Wunsches des Philosophen
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