Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
hat.
Herbert Haag-Stiftung »Für Freiheit in der Kirche«
Als Landsleute und Freunde haben wir des Öfteren auch über persönliche Probleme gesprochen. Im Jahr 1960 war er, 13 Jahre älter als ich, mit mir nach Tübingen berufen worden, 1980 war für ihn bereits die Emeritierung fällig. Seine Abschiedsvorlesung am 4. Februar 1980 fiel mitten in meine Konfrontation mit Rom, just an dem Tag, als sich sieben Mitglieder (von zwölf) der Katholisch-Theologischen Fakultät in einer öffentlichen Erklärung gegen mein Verbleiben in der Fakultät aussprechen (Bd. 2, Kap. XII: Der Verrat der Sieben). Herbert erweist sich als mein treuester Tübinger Freund. Und so bedauere ich außerordentlich, dass er sich nach seiner Emeritierung nach Luzern zurückzieht. Wir halten aber weiter engen Kontakt.
In den frühen 1980er-Jahren offenbart er mir eines Tages: Er verfüge über ein ansehnliches Vermögen und frage sich, was damit nach seinem Tod geschehen solle. Ich überlege nicht lange: »Gründe eine Stiftung, eine Herbert Haag-Stiftung ›Für Freiheit in der Kirche‹.« Mir war und ist der Kampf für die Freiheit in der Kirche von zentraler Bedeutung. Und ich machte bei all den Turbulenzen die Erfahrung, dass die Hierarchen zur Verteidigung ihrer Privilegien gegen Reformer beträchtliche Geldmittel zur Verfügung haben. In der großen Konfrontation 1979/80 waren gegen mich Hunderttausende von DM eingesetzt worden: für Dokumentationen, Broschüren, Hirtenbriefe einzelner Bischöfe und das Kanzelwort des gesamten Episkopats (Bd. 2, Kap. XII: 3,5 Millionen Kanzelworte). Wie dankbar wäre mancher Theologe, Seelsorger oder Laie angesichts von Schwierigkeiten mit Rom und Bischöfen für eine publizistische und eventuell auch finanzielle Unterstützung.
In Luzern klärt Herbert Haag bald alle juristischen und finanziellen Fragen. Schon 1985 kann die Stiftung in aller Form gegründet werden. Seine Intention hat der Stifter verschiedentlich wie folgt ausgedrückt: »Die gegenwärtige Krise in der Kirche ist in ihrer Verfassung begründet, die unvermeidlich zur Unfreiheit der Gläubigen führen muss. Dies steht im offenen Widerspruch zur Botschaft Jesu, der ein Evangelium der Freiheit verkündete. Die Herbert Haag-Stiftung wird diese nicht herbeiführen, aber sie möchte dafür wenigstens Zeichen setzen.«
Nach der Satzung steht diese Stiftung »im Dienst eines aufgeschlossenen und ökumenisch gesinnten Glaubens«: Sie zeichnet durch Preise Personen und Institutionen aus, die sich durch freie Meinungsäußerung oder durch mutiges Handeln in der Christenheit exponiert haben. Der Preis besteht in einem Geldbetrag zur Förderung der Aktivitäten des Preisträgers oder der Preisträgerin und einer Medaille, die von der niederländischen Künstlerin INKA KLINCKHARD gestaltet wurde, die Herbert Haag durch mich kennengelernt hatte. Sie zeigt auf der einen Seite einen in die Freiheit fliegenden Vogel, auf der Rückseite steht das Psalmwort: »Das Netz ist zerrissen und wir sind frei« (Ps 124,7b) mit der Inschrift »Herbert Haag-Preis für Freiheit in der Kirche«.
Auf Wunsch meines Freundes übernehme ich die Präsidentschaft dieser Stiftung. Sie ist unser gemeinsames großes Unternehmen. Die ersten Preisverleihungen können unter Mitwirkung unseres Instituts für Ökumenische Forschung im Festsaal der Universität Tübingen stattfinden, später zumeist im Hotel Schweizerhof in Luzern und zweimal in Wien. Der erste Preisträger ist 1985 der brasilianische Befreiungstheologe Professor LEONARDO BOFF .
Die Präsidentschaft der Herbert Haag-Stiftung hat mir viel Arbeit gebracht. Doch blicke ich auf die Jahre 1985 bis 2013 zurück, als ich die Präsidentschaft an Dr. ERWIN KOLLER abgebe, darf ich mich freuen, wie viele engagierte Männer und Frauen, Medien, Initiativen und Institutionen wir auszeichnen konnten. Es ist eine lange Ehrenliste bekannter und weniger bekannter Zeitgenossen, die ich im Anmerkungsteil vollständig wiedergebe. 11
Im August 2001 wird Herbert Haag mit hohem Fieber in das Kantonsspital Luzern eingeliefert. Ich selber bin kurz vorher in meinem Seehaus, nur gut 20 Kilometer entfernt, eingetroffen und kann ihn mehrfach besuchen. Er wird gut umsorgt von Ärzten, Schwestern und einer jungen brasilianischen Betreuerin, Cristina Casagrande. Am Samstag, dem 18. August, überrascht er mich, den er seinen besten Freund nennt, am Telefon mit der klaren und deutlichen Aussage: »Ich werde heute sterben.« Die Frage,
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