Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
ehemaligen Kloster, wo er sich wie bisher von vier Schwestern eines italienischen Laienordens betreuen lässt und wo ihm vor allem auch sein bisheriger Sekretär GEORG GÄNSWEIN zur Verfügung steht. Ob das klug ist und bei Streitfragen nicht zu Polarisierungen in Kurie und Kirche führt, wird die Zukunft zeigen.
Jedenfalls warne ich in einem »Spiegel«-Gespräch vor einem Schattenpapst , der zwar abgedankt hat, aber indirekt weiter Einfluss nehmen kann und will. Dass er vorher noch rechtzeitig seinen Sekretär, zum Unwillen vieler Kurialen, zum Erzbischof geweiht und ihn zu guter Letzt sogar noch zum Präfekten des Apostolischen Palastes mit weitreichenden Vollmachten ernannt hat, finde ich für die Zukunft beunruhigend. Dies erscheint auch in der Kurie manchen als Nepotismus neuer Art. Der emeritierte Papst will ja auch mit den Kardinälen und mit seinem Nachfolger Kontakt halten. Doch kein Pfarrer hat es gern, wenn der Vorgänger gleich neben dem Pfarrhaus wohnt und alles beobachtet, was er macht. Und selbst für den Bischof von Rom kann es nicht angenehm sein, wenn sein Vorgänger ständig ein Auge auf ihn hat und sein Sekretär Gänswein als Präfekt des Päpstlichen Hauses mit dem neuen Papst im Apostolischen Palast sitzt.
Konklave und Wahl eines Überraschungskandidaten
Natürlich stellt die Rücktrittserklärung sofort die Frage nach dem neuen Papst und dem Konklave in den Mittelpunkt des Interesses. Dieses Kardinalskollegium scheint schlechte Voraussetzungen zu besitzen, um einen guten Nachfolger zu wählen. Fast alle seine Mitglieder sind von den Restaurationspäpsten Wojtyła und Ratzinger ernannt worden. Mir ist indes sofort klar, dass sich die Perspektive der Kardinäle mit dem Abtreten des alten Papstes ändern würde. Vor allem die auswärtigen Kardinäle denken in dieser Situation in erster Linie an ihre eigene Diözese und ihr eigenes Land und erinnern sich auch an manche missliebigen Erfahrungen mit der oft arroganten und ignoranten kurialen Verwaltung. Kurienkardinäle sind deshalb zumeist keine »Papabili«.
Diese Situation berechtigt mich trotzdem, auf einen »Vatikanischen Frühling« zu hoffen. Mit diesem Titel – allerdings mit Fragezeichen – überschreibe ich einen Artikel für die »New York Times«, der auch in »La Repubblica«, in »El País« und im holländischen »Handelsblad« übernommen wird. Papst Ratzinger trägt die Verantwortung dafür, dass die Zahl der Italiener im Kardinalskollegium auf die außerordentliche Zahl von 28 angeschwollen war. Die konkrete Frage ist, welcher Kandidat eine Zweidrittelmehrheit auf sich vereinen könnte. Ich meinerseits erwarte, dass jeder der in den Medien diskutierten Papabili zumindest ein Drittel gegen sich haben wird, da sie mir alle als ungeeignet erscheinen. Meine geheime Hoffnung ist, dass sich im Konklave selber eine Person profiliert, die sich als fähig erweisen wird, die tiefe Krise der Kirche zu erkennen und Wege zu ihrer Überwindung zu finden.
Die italienischen Kardinäle haben schlechte Karten wegen des schlechten Rufes der vorwiegend italienischen Kurie, und die Italienische Bischofskonferenz torpediert schließlich ihren eigenen Kandidaten, den Kardinal-Erzbischof von Mailand, ANGELO SCOLA , durch eine voreilige Gratulation zu seiner Wahl. Dies führt zu einer gemeinsamen Frontstellung der auswärtigen Kardinäle gegen Kurie und Italiener. Einer dieser Auswärtigen hält auf dem Arbeitstreffen der Kardinäle unmittelbar vor dem Konklave eine kurze programmatische Rede, die faktisch ein Gegenprogramm zum Kurs Papst Benedikts skizziert. Es ist ein gewisser Kardinal Bergoglio aus Buenos Aires, der schon im Konklave vor acht Jahren eine Anzahl Stimmen erhalten hat.
Und siehe da: Schon im fünften Wahlgang wird am 13. März 2013 ebendieser Erzbischof von Buenos Aires, Kardinal JORGE MARIO BERGOGLIO , als erster Lateinamerikaner und erster Jesuit zum neuen Papst gewählt ! Zur Überraschung der ganzen Welt nimmt er den Namen FRANZISKUS an. Er präsentiert sich vom ersten Moment an als bescheidener Bischof von Rom, der auch in seiner äußeren Erscheinung, Kleidung, Gestik und Sprache eine wohltuende Schlichtheit und Menschlichkeit ausstrahlt.
Während der ganzen Dauer des Konklaves und besonders nach der Wahl werde ich von Medien aus aller Welt buchstäblich belagert und lasse folgende Pressemeldung verbreiten:
»Was soll der neue Papst tun? Die Gretchenfrage an den neuen Papst lautet: ›Wie hältst Du’s mit Reformen?‹
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