Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Verwicklungen und angesichts internationaler Verpflichtungen, die er eingegangen sei, bewusst geworden sei, dass die Übernahme der Präsidentschaft der Stiftung in der gegebenen Situation einen Einsatz in einem Maße erfordere, das zu erbringen er sich nach reiflicher Überlegung nicht imstande sehe. Dies habe ihn schließlich dazu bewogen, dass er von seiner früheren Zusage, die Präsidentschaft der Stiftung Weltethos zu übernehmen, jetzt leider Abstand nehmen müsse. Er bedauere dies sehr, bleibe aber unserer Stiftung als Mitglied des Kuratoriums verbunden, wo er sich auch in Zukunft aktiv für das Weltethos einsetzen möchte.
Dies war, wenn auch verständlich, natürlich eine große Enttäuschung! Nun war guter Rat teuer, zumal die Amtsübergabe für den 19. März 2013, meinen 85. Geburtstag, fest vorgesehen war. Nach Wochen intensiver Beratung und Diskussion auch im Stiftungsvorstand gelang es schließlich, EBERHARD STILZ , Präsident des Staatsgerichtshofs von Baden-Württemberg, für die Übernahme der Präsidentschaft der Stiftung Weltethos zu gewinnen. Als scharfsinniger Jurist und langjähriger Oberlandesgerichtspräsident mit besten Kontakten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft war er die ideale Besetzung für dieses Amt. Dank seines außerordentlichen Verhandlungsgeschicks sollte er sich schon bald mit seinem Einsatz für die Zukunftssicherung der Stiftung zum ersten Mal bewähren.
So kann denn wie vorgesehen die festliche Amtsübergabe am 22. April 2013 im großen Hörsaal der Universität stattfinden. Motto: »Kontinuität im Wandel«. Das David Orlowsky Trio reißt mit seiner Klezmer-Musik von Anfang an zu begeistertem Beifall hin. Der Rektor der Universität, BERND ENGLER , begrüßt in gewohnt charmanter Weise die zahlreich erschienene Prominenz und das ganze Auditorium. Dann halte ich meine Abschiedsrede »Das Projekt Weltethos – Erreichtes und Erhofftes«. Unter dem Titel »Mein Weltethos-Vermächtnis« ist sie weiter unten nachzulesen. Anschließend erfahre ich eine besondere Freude: Meine Schüler, Kollegen und Freunde HERMANN HÄRING und STEPHAN SCHLENSOG überreichen mir den schönen Band meiner »Kerngedanken«, die sie unter dem Titel »Was bleibt« beim Piper Verlag anlässlich meines 85. Geburtstages herausgegeben haben. Danach spricht der neue Präsident der Stiftung Weltethos/Schweiz, Prof. WALTER KIRCHSCHLÄGER , ein inhaltlich und sprachlich ausgefeiltes, engagiertes Grußwort. Schließlich hält der neue Präsident der Stiftung Weltethos, EBERHARD STILZ , seine Antrittsrede. Er versteht es, in sympathischer, verständlicher und überzeugender Weise darzulegen, »Weshalb mir die Stiftung Weltethos so wichtig ist«. Am Ende kann er gleich seine erste Amtshandlung durchführen: Die Fernsehredakteurin UTE-BEATRIX GIEBEL vom SWR Mainz erhält die von Inka Klinckhard entworfene eindrucksvolle Ehrenmedaille der Stiftung Weltethos in Bronze. Sie hatte ein spannendes, facettenreiches Fernsehporträit gestaltet: »Hans Küng – Provokateur und Friedensstifter«, das einfühlsam und informativ die Entwicklung meiner Person und der Weltethos-Idee nachzeichnet.
Viel weitreichender indes als die Frage nach der Zukunft der Stiftung Weltethos ist die Frage nach der Zukunft der katholischen Kirche, für die sich ebenfalls Unerwartetes entwickelte, das meinen ganzen persönlichen Einsatz forderte.
Unerwarteter Papstrücktritt
Schon vor dem Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils hatte ich anhand der kirchenrechtlichen Literatur die fünf Fälle behandelt, nach denen der Papst sein Amt beziehungsweise seine Leitungsvollmacht verliert (vgl. »Strukturen der Kirche«, 1962, Kap. VII, 3: Der Konfliktfall zwischen Papst und Kirche): Tod, Verzicht, Geisteskrankheit, Häresie und Schisma. Zum Verzicht führte ich damals aus: Wie der Papst durch freie Annahme der Wahl sein Amt erlangt, so verliert er es auch durch freie und öffentlich erklärte Demission. Die Kirchenrechtler beziehen sich vor allem auf den von COELESTIN V . verfochtenen und von seinem Nachfolger BONIFAZ VIII . in seine Gesetzessammlung aufgenommenen Rechtssatz: »Romanum Pontificem posse libere resignare« (»Der römische Pontifex kann frei zurücktreten«).
Daraus folgerte ich: Es gibt außerordentliche Situationen in der Kirchengeschichte, in denen ein Papst nicht nur resignieren darf, sondern sogar muss: »propter necessitatem vel utilitatem Ecclesiae universalis, propter pacem et concordiam in Ecclesia«,
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