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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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Führt er endlich die Reformen in der Kirche durch, die sich über Jahrzehnte unter seinen Vorgängern angestaut haben? Oder soll es im Grunde so weitergehen wie bisher? Die Konsequenzen sind offenkundig:
    – Wenn der Papst Reformen anpackt, findet er breite Zustimmung weit über die katholische Kirche hinaus.
    – Wenn er aber weitermacht wie bisher, wird der Ruf ›Empört euch! Indignez-vous!‹ mehr und mehr auch in der katholischen Kirche erschallen und Reformen von unten provozieren, auch ohne Billigung durch die Hierarchie und oft sogar gegen die Vereitelungsversuche der Hierarchie.«
    Für mich persönlich hat sich plötzlich eine völlig neue, erfreuliche Konstellation ergeben: Ich war von der Voraussetzung ausgegangen: »Küng geht – Papst Ratzinger bleibt«. Nun heißt es umgekehrt: »Küng geht – aber der Papst noch vor ihm!« Am 19. März 2013, meinem 85. Geburtstag und dem Rücktrittsdatum von meinen Ämtern, erfolgt bereits der Amtsantritt des neuen Papstes Franziskus. Das sei für mich »das schönste Geburtstagsgeschenk«, meint jetzt der belgische Journalist FREDDY DERWAHL , früher Verfasser einer ganz Ratzinger-freundlichen Doppelbiographie »Der mit dem Fahrrad und der mit dem Alfa kam«. Das Symbol einer großen Wandlung: Der damals mit dem Fahrrad kam, verlässt uns heute im Hubschrauber. Eine solche Wandlung erfordert mein Weg nicht: Ich bleibe mit Freude und Leidenschaft der Theologieprofessor, der ich schon immer war.
    Doch hier ende die Parallelität der Lebenswege von Joseph Ratzinger und mir, schreibt mir GUIDO BAUMANN, ein kundiger Beobachter der Szene, im März 2013:
    »Die auf die Vergangenheit bezogene Parallelität mag sonderbar sein; mit Blick auf die Zukunft wird es diese Parallelität, so meine prophetische Voraussage, aber nicht mehr geben. Denn, so meine Einschätzung, während in Ihren bald unzähligen Publikationen sehr sehr viele ›Chiffren‹ enthalten sind, also noch viel ›Unabgegoltenes‹, wie es ein anderer berühmter Tübinger Professor und Philosoph begrifflich neu fasste, Ernst Bloch, sind in den – neo-platonischen – Publikationen von Prof.   Ratzinger bzw. Papst Benedikt XVI. nur noch nach rückwärts gerichtete nostalgische Aussagen, d. h. also schon längst Abgegoltenes enthalten. Anders gesagt: Ihre Zeit wird erst noch kommen, jene von Papst Benedikt XVI. bzw. Prof. Joseph Ratzinger ist meiner Meinung nach bereits endgültig vorbei.« Dazu mein Kommentar: Erleben werden wir es beide nicht, die Geschichte wird es zeigen.
    Für mich ist jedenfalls die Zeit des Abschieds angebrochen, und ich versuche sie so gut wie möglich zu leben. Der Abschied von so vielem und so vielen. So vielen Menschen bin ich im Lauf meines langen Lebens begegnet, und in meinen drei Memoirenbänden wollte ich auch die Erinnerung an sie wachhalten. So vielen Menschen konnte ich mit meinen Werken helfen, und so viele möchte ich hier zum Schluss mit meinen drei Abschiedsreden ansprechen:
    – zuerst die in Kirche und Christenheit: eine sozusagen »innenpolitische« Rede,
    – dann die an den großen Zeitfragen, an Weltreligionen und Weltethos Interessierten: eine »außenpolitische« Rede,
    – schließlich alle, die sich mit existentiellen Fragen des Menschseins, mit Leben und Sterben auseinandersetzen: eine sehr persönliche Rede.
    In diesen Reden wird der Leser natürlich viele bereits geäußerte Gedanken – jetzt in programmatischem Kontext – wiederfinden.
    Papst Franziskus – ein Paradoxon?
    Im Rahmen der Verleihung des Herbert- Haag-Preises der Herbert-Haag-Stiftung »Für Freiheit in der Kirche« in Luzern am 14.   April 2013, bei der ich auch vom Amt des Präsidenten der Herbert-Haag-Stiftung Abschied nehme, habe ich Gelegenheit, eingehend zum neuen Pontifikat und zur Lage der Kirche Stellung zu beziehen. Diese »innenpolitische« Abschiedsrede folgt hier im Wortlaut : 2
    Wer hätte das gedacht: Als ich mich schon früh entschloss, zu meinem 85. Geburtstag meine Ehrenämter niederzulegen, ging ich davon aus, dass mein durch die Jahrzehnte gehegter Traum, nochmals einen Umschwung in unserer Kirche wie unter Johannes XXIII. zu erleben, zu meinen Lebzeiten nicht mehr in Erfüllung gehen würde.
    Und siehe da: Mein langjähriger theologischer Lebensbegleiter Joseph Ratzinger – wir sind jetzt beide 85 – trat plötzlich noch vor mir von seinem päpstlichen Amt zurück, und genau am 19.   März 2013, seinem Namenstag und meinem Geburtstag, trat ein neuer

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