Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
TONY BLAIR, MARY ROBINSON, KOFI ANNAN, HORST KÖHLER, HELMUT SCHMIDT, DESMOND TUTU.
Auch über das Engagement unserer Stiftung hinsichtlich »Weltethos und Weltsport« wäre zu berichten, über die Kontakte zum IOC – unvergessen IOC-Präsident JACQUES ROGGE als Weltethos-Redner in Tübingen –, aber auch über unsere Zusammenarbeit mit dem Deutschen Fußballbund, die schon vor Jahren begann und derzeit eine sehr interessante Fortsetzung im Einsatz gegen Rassismus und Diskriminierung findet.
Immer wichtiger aber wurde für unsere Stiftung in den letzten Jahrzehnten der Bereich der Wirtschaft . Schon im Jahr 1997 habe ich in meinem Buch »Weltethos für Weltpolitik und Weltwirtschaft« unter dem Eindruck der sich anbahnenden Asienkrise herausgearbeitet, welch fatale Folgen ethisch verantwortungsloses Verhalten nicht nur für Unternehmen, sondern für die gesamte Weltwirtschaft haben kann. In meinem Buch »Anständig Wirtschaften. Warum Ökonomie Moral braucht« (2010) habe ich diese Analyse nach den Erfahrungen der großen Finanzkrisen weiter vorangetrieben und drängend ein Umdenken im Bereich des Wirtschaftsethos angemahnt. Vielen erschienen meine Prognosen damals allzu pessimistisch, faktisch haben sich aber alle – leider – bewahrheitet.
Hier im Saal sind nicht wenige – Freunde, Kollegen, Fachleute –, die wissen, dass hinter meinen Einsichten nicht nur das Studium entsprechender Literatur, sondern auch ungezählte Gespräche und Erfahrungen stehen, aus denen ich gelernt habe. Hatte ich doch das Glück, gerade auch im Finanzsektor schon früh eine ganze Reihe von Bankiers und Unternehmern der alten Schule kennenzulernen, die gewiss auch keine Heiligen waren, aber doch Persönlichkeiten mit Charakter, sozialem Verständnis, korrektem und glaubwürdigem Verhalten. Und so habe ich mein Buch »Projekt Weltethos« 1990 dem früheren Sprecher der Deutschen Bank und späteren Bundesbankpräsidenten KARL KLASEN gewidmet.
Aber schon in den 1980er-Jahren sah ich, besonders während meiner beiden Gastsemester in Houston/Texas, einen neuen Typ von Bankern heraufkommen, dem es nur auf Gewinnmaximierung für die Aktionäre und gleichzeitig für sich selber ankam. Ich brauche Ihnen nicht nochmals die komplexe fatale Entwicklung der Finanzwirtschaft und der Finanzwissenschaft seit den 1980er-Jahren zuerst in USA, dann in Europa, nachzuzeichnen, wie sie zu Börsen- und Immobilienblasen, zur Vervielfachung der Managergehälter und schließlich zur gegenwärtigen Weltfinanz- und Weltwirtschaftskrise führte. Grosso modo ist festzustellen: Schuld daran ist erstens ein Versagen der Märkte, zweitens ein Versagen der Institutionen und drittens ein Versagen der Moral. Statt eines verantwortungsvollen Wirtschaftens erlebten wir in all diesen Jahren immer mehr eine besonders im Bankwesen institutionalisierte Gier und Lüge, was mich schon früh vor dieser Entwicklung warnen ließ.
Ich möchte bei diesem hochaktuellen Thema ein klein wenig konkreter werden: In meinen Gesprächen mit Bankern konnte ich in der Finanz- und Wirtschaftskrise drei Phasen des Verhaltens feststellen, nicht unähnlich dem Verhalten – darf ich es sagen? – katholischer Bischöfe in der Kirchenkrise wegen Sexual- und Machtmissbrauchs:
– zuerst ein verstocktes und oft arrogantes Schweigen: man sei nicht verantwortlich für diese Misere;
– dann langsam ein Eingeständnis der Mitverantwortung: es sei auf der Topebene einiges aus dem Ruder gelaufen;
– schließlich immer entschiedener die Einleitung eines gewissen Kurswechsels.
Ich will das alles nicht vertiefen, sondern wollte nur deutlich machen, dass das Modell des ständig rational handelnden »Homo oeconomicus« und die Verabsolutierung quantitativer Analysen und Steuerungsmethoden der Wirklichkeit nicht gerecht werden und nun in die Irre führen.
Oder positiv formuliert: Die Berücksichtigung der ethischen Dimension in Wirtschaft und Wirtschaftswissenschaft drängt sich gebieterisch auf. Das in aller Welt begrüßte wuchtige Ja des Schweizervolkes zur sogenannten Abzocker-Initiative (auch ich habe dafür gestimmt) ist Ausdruck moralischer Empörung nicht nur über Lohnexzesse und manifestiert ein Misstrauen gegenüber dem ganzen Finanzsektor. Sogar JOSEF ACKERMANN fordert jetzt, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, müsse unternehmerisches Handeln nicht bloß rechtlich, sondern auch ethisch einwandfrei sein (vgl. »NZZ« vom 9. 3. 2013). Letzteres ist wichtig: Rechtliche und
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