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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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seinem ganz persönlichen, traditionell katholischen Glauben sind die Ausnahme, welche die Regel bestätigt. Eine Ausnahme auch FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY , der Konvertit aus dem Judentum, mit seinem dezidiert an Bach orientierten evangelischen Glauben.
    Aber werfen wir noch einmal einen Blick auf GUSTAV MAHLER , dem ja ursprünglich bei diesem Eröffnungskonzert und in meiner Eröffnungsrede die Hauptrolle zugedacht war. Manche seiner Freunde haben Mahler einen tiefreligiösen Menschen genannt (in jüngster Zeit besonders der Mahler-Spezialist Constantin Floros), und vielleicht war Mahler in der Tat auf seine Weise nicht weniger gläubig als Anton Bruckner, bei dem er privat Unterricht genommen hatte. Als musikalische Genies standen beide auf der gleichen Stufe. Aber Bruckner war von Haus aus naivgläubig. Mit dem traditionellen Credo der Kirche hatte er kaum Probleme. Mahler aber, als Jude zum Christentum konvertiert, war ein hoch reflektierter Gläubiger, der sowohl zum Judentum wie zum Christentum eine innere Distanz wahrte.
    Bruckners Messen gehören mit Bachs h-Moll-Messe, Beethovens »Missa solemnis« und Mozarts Requiem, das wir anschließend hören werden, zu den genialsten Schöpfungen sakraler Musik. Und Mahler? Als man ihn fragte, warum er keine Messe schreibe (nach Jens Malte Fischer in seiner Mahler-Biographie), soll Mahler geantwortet haben: »Glauben Sie, dass ich das vermöchte? Nun, warum nicht? Doch nein. Da kommt das Credo vor.« Und er beginnt das Credo lateinisch herunterzusagen. »Nein, das vermag ich doch nicht«, folgert er, um später nach einer Probe seiner achten Symphonie seinem damaligen Gesprächspartner Alfred Roller gegenüber fröhlich zu äußern: »Sehen Sie, das ist meine Messe.« In der Tat hat Mahler versucht, in dieser Symphonie seinen Glauben musikalisch umzusetzen und auszudeuten.
    Allerdings, kirchengläubig war Mahler sicher nicht. Und christusgläubig nur bedingt, verglich er doch Christus mit Platon. Aber sicher war er gottgläubig. Nur konnte er wie viele Zeitgenossen damals und heute nichts anfangen mit dem oft allzu menschenförmig, anthropomorph präsentierten Gottesbild der jüdisch-christlichen Tradition. Mahler blieb ein Gottsucher, war aber zugleich ein Geistbewegter.
    Es handelt sich hier um einen Glauben im allerweitesten Sinn , der im Prinzip in allen Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen möglich ist. Was man an »Glauben« in die Musik hineinlegt, hängt weithin von der Einstellung des Komponisten, des Musikers und des Zuhörers ab. Was viele moderne Komponisten trägt, selbst wenn sie sich nicht ausdrücklich zu Gott bekennen, ist eine Art Lebensvertrauen . Ein Glaube, der in jedem Fall im Gegensatz steht zu einer bloß materialistischen Weltsicht, gar einem radikalen Nihilismus, für den alles, das Ich und die Welt, letztlich brüchig, chaotisch, absurd und in diesem Sinne sinnlos ist. Also eine im Prinzip positive Einstellung zum oft so widersprüchlichen Leben, zur höchst ambivalenten Welt, zur zwiespältigen Gesellschaft, ein grundsätzliches Ja zur fragwürdigen Wirklichkeit überhaupt. Ich nenne das ein Grundvertrauen zur Wirklichkeit , das trotz allem Widerwärtigen das Erleben, Verhalten und eben auch das Komponieren bestimmt und trägt.
    Von daher ist es seit Langem meine Überzeugung: Die meisten Menschen möchten an etwas glauben, und faktisch tun sie es auch. Das fängt mit dem Lebensvertrauen an, denn ein Lebensvertrauen bekommt ein Kind normalerweise schon von seiner Mutter auf den Lebensweg mit, ganz elementar durch ihr Verhalten und ihre Zuneigung. Ein Lebensvertrauen, in das ein Kind immer mehr hineinwächst, das es aber durch alle Enttäuschungen und Erschütterungen hindurch zu bewahren und zu bewähren hat. Nein, nicht Vertrauensseligkeit hilft im Leben eines Kindes, eines Jugendlichen oder eines Erwachsenen, nicht ein unkritischer Opportunismus. Wohl aber vermag durchs Leben zu tragen ein immer wieder neu herausgefordertes und überprüftes Ja zur Wirklichkeit, wie sie nun einmal ist oder sein sollte.
    Und je nachdem kann dabei die Musik eine Hilfe sein – je nachdem! Zwar hören wir alle Musik nach denselben physikalischen Gesetzen der akustischen Schwingungen. Doch zugleich hört jeder die Musik sehr verschieden – je nach physiologischer Aufnahmefähigkeit des Klanges, je nach Vorstellungs- und Einfühlungsgabe. Ich kenne einen berühmten Kollegen der Theologie, dem sogar Mozart nichts sagt (»dieses ständige

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