Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
perpetua luceat eis!« Das ewige Licht, das Gott selber ist, leuchte ihnen!
Auch in den folgenden Sätzen setzt sich in diesem Requiem in d-Moll immer wieder eine Form des Dur durch. Dies gilt selbst vom düsteren mittelalterlichen Hymnus »Dies irae« – »Tag des Zornes« – mit seinen apokalyptischen Texten, der vom gegenreformatorischen Papst PIUS V., früher Großinquisitor, verbindlich in die Trauermesse eingeführt wurde. Vor allem im Zusammenhang der Anrufung: »Pie Jesu – milder Jesus«, der ein gnädiger Richter sein möge, vernehmen wir helle, tröstliche Töne. So zeugt denn Mozarts Komposition von einem tiefen Glauben an Gott und das ewige Leben. Gottesglaube als Gottvertrauen.
Am 5. Dezember 1791 ist Mozart, mit dem Tode wohlvertraut, schon länger kränkelnd, aber noch immer höchst kreativ, unerwartet verstorben. Die Partitur endet mitten im Vers »Lacrimosa dies illa« – ein Tag der Tränen wahrhaftig! Seither aber streiten die Gelehrten darüber, was in den späteren Teilen des Requiems von Skizzen Mozarts stammt oder von Ergänzungen seines Schülers FRANZ XAVER SÜSSMAYR . Andere verfassten verbesserte Versionen. Sie werden heute Abend zweifellos die beste von allen hören – dank der Auswahl von Maestro CLAUDIO ABBADO .
Die Komponisten und ihr Glaube : Der Glaube der Komponisten kann ihr Werk besser verstehen helfen. Und die tiefe Gläubigkeit Mozarts kann vielleicht, in Musik umgesetzt, zur Inspiration werden. Aber ob Sie nun »glauben« oder »nicht glauben« oder zwischen beidem schwanken und suchen: ich wünsche Ihnen allen, meine Damen und Herren, dass Ihnen das folgende Konzert ganz im Geiste Mozarts ein tief empfundenes, lichtes Erlebnis werden möge.
Anschließend brachte Claudio Abbado das Requiem von Mozart zur Aufführung, und es hat mich persönlich mehr berührt als je zuvor. Das »Requiem aeternam dona eis, Domine!« – »Herr, gib ihnen die ewige Ruhe« – habe ich in besonderer Weise auch auf mich bezogen.
Mein letztes Amen
So bin ich denn glücklich am Ende meiner drei Bände »Lebenserinnerungen« angekommen, die so zu einer »Apologia pro vita mea« – zu einer »öffentlichen Rechenschaft über mein Leben« – geworden sind. Nein, keine Selbstrechtfertigung: Rechtfertigung aus reiner Gnade darf ich von einer anderen, höheren Instanz erwarten. Und nun sind bald die zwei Jahre abgelaufen, die mir mein Augenarzt mit seinen Medikamenten garantiert hat, in denen ich trotz zunehmender Makula-Degeneration noch gut lesen und schreiben könne. Und auch die diagnostizierte Parkinsonkrankheit sollte ich mit dreimalig täglicher Einnahme von teuren Medikamenten in Schranken halten können.
Mir war klar: Ich muss für mein Weiterleben kämpfen. Und so nehme ich denn jeden Tag mehr als ein Dutzend Tabletten ein, mache täglich meine Bodenübungen zur Stärkung der Rückenmuskeln und zur Beruhigung meines Rückenmarksnervs, anschließend schwimme ich und mache auch dabei Übungen – alles genau nach den Anweisungen bester Ärzte und meiner hervorragenden Physiotherapeutin, die einmal wöchentlich mit mir übt. Zugleich höre ich Musik und singe oft lauthals mit, um meine Stimmbänder wieder zu stärken. Tagsüber marschiere ich immer wieder mit großen Schritten – auch bei eisigem Wetter – auf meiner Terrasse hin und her und trainiere mein Gleichgewicht. Zugleich gebe ich mir alle Mühe, meine arthrotischen Finger gegen die Mikrographie zum großen und lesbaren Schreiben anzuhalten. Ich lebe wie immer diszipliniert, trinke eher weniger Wein und mehr Wasser, esse gesund und nicht fett. Auch verzichte ich auf große Auslandsreisen und halte meine internationale Korrespondenz möglichst kurz. … Doch wie lange geht es noch so weiter?
Dankbar bin ich, dass ich die Präsidentschaft sowohl der Weltethos-Stiftungen in Deutschland und der Schweiz wie auch der Herbert-Haag-Stiftung »Für Freiheit in der Kirche« in neue kompetente Hände geben durfte. Und Gott sei Dank, dass ich in der meinen Augen gesetzten Zwei-Jahres-Gnadenfrist auch diesen dritten und letzten Band meiner Memoiren vollenden konnte. Weitere Bücher schreiben möchte ich nicht, auch nicht neue große Vorträge ausarbeiten und weite Reisen unternehmen. Vielleicht werde ich noch kleine Aufgaben übernehmen, den einen oder anderen Text neu herausgeben, sicher noch zu existentiellen und gesellschaftlichen, kirchlichen oder ethischen Fragen Stellung beziehen können. Ich genieße es: Es wird mir jetzt
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