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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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wie noch angesichts der Antimodernismushetze unter Pius X. zu Beginn des 20. Jahrhunderts oder angesichts der Kampagne gegen die »Nouvelle Théologie« unter Pius XII. um die Mitte des 20. Jahrhunderts? So oft haben sie in der Geschichte der Kirche – und nicht nur in dieser Kirche – geschwiegen. So oft wurden sie zum Schweigen gebracht. Sollen also wieder nur die Hoftheologen das Sagen haben, deren vornehme Funktion seit Kaiser Konstantins und des Hofbischofs Eusebios Zeiten es war, ihren hohen Herren die Argumente, Texte, Ideologien zu liefern? Nein, ein »Doctores taceant in Ecclesia – die Lehrer mögen schweigen in der Kirche« (entsprechend dem allerdings unechten Pauluswort 1 Kor 14,34: »Die Frauen mögen schweigen in der Gemeindeversammlung«) darf es nie wieder geben.
    Nicht konformistisch, sondern kritisch haben Theologen zu sein: kritisch gegenüber sich selbst, aber auch gegenüber ihrer eigenen Tradition und Kirche. Denn was sind die Folgen für eine Kirche, in der die Theologen schweigen? Dann macht sich niemand mehr in intellektueller Redlichkeit die Mühe kritischer Unterscheidung: um immer wieder die gute Tradition (es gibt doch auch eine schlechte), die authentische Lehre (es gibt auch eine falsche), die ursprüngliche christliche Botschaft (es gibt auch eine nicht-ursprüngliche) herauszuarbeiten; um die Wahrheit des Evangeliums aus dem Dort und Damals immer wieder neu ins Hier und Heute zu übersetzen. Theologie soll und darf doch sein in der Christenheit: die denkende Rechenschaft über die Wahrheit des christlichen Glaubens . Und Verpflichtung des christlichen Theologen ist es, die christliche Wahrheit in Wahrhaftigkeit zu suchen (Bd. 1, Kap. III: Durchbruch zur Gewissensfreiheit). Und dies unter Umständen auch gegen die Repression der eigenen Kirchenleitung.
    Ratzingers Inquisitionsbehörde und der Widerstand
    Im Jahr 1981 wird Kardinal JOSEPH RATZINGER von München nach Rom berufen: als Präfekt des Sanctum Officium der Inquisition, jetzt Kongregation für die Glaubenslehre genannt. Ein historisch bemerkenswerter Vorgang. Die deutsche katholische Universitätstheologie zeigte ja im Allgemeinen wenig Sympathie für den römischen Doktrinalismus. Und gerade zur Münchner Fakultät hatte ein Jahrhundert zuvor der scharfsinnigste Gegner einer Definition von päpstlicher Unfehlbarkeit und Primat, IGNAZ VON DÖLLINGER (1799   –   1890), gehört, der wohl gelehrteste Theologe und Kirchenhistoriker im Deutschland des 19. Jahrhunderts. Man hat die Parallelen und die Unterschiede zu meiner Position analysiert (vgl. Bd.   2, Kap. IV: Das altkatholische Schisma ließe sich beenden). Ich habe immer den Standpunkt vertreten, dass das »altkatholische Schisma« beendet werden könnte, wenn eine konstruktive Lösung der Primats- und Unfehlbarkeitsfrage für Rom akzeptabel wäre – unter einem neuen Papst. Aber unter dem polnischen Papst stehen die Zeichen schlecht, und der Einzug des deutschen Kardinals Ratzinger in den Palazzo del Sant’ Uffizio wird von reformorientierten Katholiken allenthalben als ein schlechtes Vorzeichen angesehen.
    Über diese fast ein Vierteljahrhundert dauernde Lebensperiode bis zu seiner Papstwahl 2005 sagt also Joseph Ratzinger in seiner Autobiographie kein einziges Wort: Warum dieses Verschweigen? In der Tat unterstützt er in jeder erdenklichen Weise den konservativ-restaurativen Kurs Johannes Pauls II. und wird damit mein mächtigster Gegenspieler, dem der ganze riesige Apparat des größten religiösen Multis der Welt zur Verfügung steht. Dass die »Servizi« der Kurie mit den modernen Kommunikationsmitteln »svelti«, sehr »rasch«, geworden sind, hatte mir, wie berichtet, schon Kardinal Montini, unter Pius XII. Substitut im Staatssekretariat, vor seiner Papstwahl erklärt. Und wie dem Kardinalstaatssekretär so steht auch dem Chef der Glaubensbehörde der gesamte kuriale Apparat zur Verfügung. Bei ihm treffen ja täglich Denunziationen aus aller Welt ein. Und ihm ist es ein Leichtes, direkt an jede der päpstlichen Nuntiaturen in aller Welt zu gelangen, um den Repräsentanten des Papstes zu einer Intervention bei einer Bischofskonferenz, bei einer Regierung oder eben auch gegen einen Einzelnen zu veranlassen. Er kann auch jeden der fast 5000 Bischöfe in aller Welt direkt anschreiben, um gegen ihn oder gegen einen seiner Theologen, Seelsorger oder Ordensleute vorzugehen – alles geräuschlos und von der Öffentlichkeit völlig unbeobachtet, oft

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