Erlöst mich: Thriller (German Edition)
Freilassung beraten werden würde und seine Jugend nichts mehr war als eine verblassende Erinnerung. Langsam und verächtlich drehte Brayer sich in Richtung der Jubelnden und grinste sie höhnisch an.
Dabei bemerkte er Tina. Sie war es gewesen, die ihn im Verhörzimmer des Mordes beschuldigt hatte, und als er sie jetzt sah, fuhr er sich langsam und genüsslich mit dem Zeigefinger über die Kehle, während seine Lippen das Wort »Bullenfotze« formten.
Tina lächelte ihn mit gespieltem Bedauern an, zum ersten Mal heute fühlte sie sich richtig gut. Nach allem, was sie in den vergangenen Jahren durchgestanden hatte, brauchte es mehr als einen halbstarken Burschen wie Brayer, um ihr Angst einzujagen. »Ich könnte dir Typen zeigen, die dir das
Blut gefrieren lassen würden«, dachte sie, hielt seinem Blick gelassen stand und nahm befriedigt zur Kenntnis, dass er sich als Erster abwandte. Die Richterin verurteilte die beiden Mittäter zu jeweils sechzehn Jahren.
Und dann war es vorbei, grob führten die Wachen die drei, die sich nach Kräften wehrten, von der Anklagebank, während von den Zuschauerrängen ein Hagel von Beschimpfungen auf sie niederprasselte, der in Hochrufe auf die Angehörigen des Opfers überging.
Tina schüttelte ihren beiden Kollegen, die sie zur Urteilsverkündung begleitet hatten, die Hand, beugte sich dann über die Stuhlreihe hinweg nach hinten, um Michaels Mutter, Constanza Fremi, zu umarmen, die gleichzeitig weinte und zu lächeln versuchte, während sie von Wogen unterschiedlichster Emotionen überrollt wurde, die die Tragödie in ihr auslösten.
Sobald Tina auf der Straße vor dem Gerichtsgebäude war, schaltete sie ihr Handy ein und zündete sich eine Zigarette an. Ihren Kollegen – ihr neuer Boss DCI Bob Levine und ihr gelegentlicher Partner DC Dan Grier – sagte sie, sie würde ihnen gleich aufs Revier folgen, müsste aber zunächst noch nach Finchley, wo sie eine Verabredung mit einer Zeugin hatte, die eine weitere tödlich verlaufene Messerstecherei auf offener Straße beobachtet hatte. Die Zeugin hieß Gemma Hanson und war eine alleinerziehende zwanzigjährige Mutter, die offenbar von der Familie des Täters bedroht worden war und überlegte, ihre Aussage zurückzuziehen, ehe der Fall im April vor Gericht kam. Tina musste sie bestärken, bei ihrer Aussage zu bleiben, denn ohne würde die Anklage mit hoher Wahrscheinlichkeit zusammenbrechen. Die Bedrohung von Zeugen kam
weitaus häufiger vor, als die meisten Leute annahmen, und die Polizei verfügte schlicht nicht über die Mittel, alle zu beschützen. Realistischerweise konnte Tina ihr nicht mehr bieten als ein paar aufmunternde Worte und das vage Versprechen, die Polizeistreifen in ihrer Straße zu verstärken.
Man hatte in ihrer Wohnung bereits einen Panikschalter installiert, doch das letzte Mal, als Gemma ihn betätigt hatte, nachdem ein Ziegelstein durch die Fensterscheibe geflogen war und die Wiege ihres Babys nur knapp verfehlt hatte, hatte es über fünfzehn Minuten gedauert, bis die zuständigen Streifenpolizisten eingetroffen waren. Tina wusste, dass ihre Aufgabe nicht einfach sein würde.
Um sich vor dem schneidenden Februarwind zu schützen, zog sie sich in einen Ladeneingang zurück, inhalierte tief und fast verzweifelt den Rauch ihrer Zigarette und genoss den flüchtigen Rausch, den das Nikotin auslöste, als es durch ihre Adern strömte. Ihr Handy zeigte nur eine neue Nachricht an, sie stammte von einem DS Rob Weale vom Essex CID, der um Rückruf bat.
Obwohl sie den Namen nicht kannte, war sie neugierig genug, die Rückruf-Taste zu drücken.
Nach dreimaligem Klingeln nahm Weale ab und stellte sich mit Namen und Rang vor, hatte einen starken, an Cockney grenzenden Essex-Akzent.
»Tina Boyd hier«, sagte sie, nahm einen letzten Zug an ihrer Zigarette und trat sie mit dem Fuß aus. »Sie haben mich angerufen.«
»Habe ich, ja. Danke, dass Sie zurückrufen. Soweit ich weiß, hatten Sie Kontakt zu einem Journalisten namens Nick Penny?«
Tina horchte auf und war sofort angespannt. »Er ist ein Bekannter von mir, ja«, erwiderte sie zurückhaltend.
»Dann habe ich schlechte Nachrichten für Sie, Ma’am.«
Sie wusste augenblicklich, was los war, zwang sich aber trotz der aufsteigenden Übelkeit in ihrem Magen, die Frage zu stellen: »Was ist passiert?«
»Er ist gestern Nacht gestorben. Sieht nach Selbstmord aus.«
»Ist es nicht. Das war Mord.«
DS Weale räusperte sich.
»Ich hab mir gedacht, dass Sie
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