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Erlösung

Erlösung

Titel: Erlösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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Augen nicht sehen konnten, war die an Gehässigkeit grenzende Wut, die ihr Bericht bei den Eltern auslöste.
    Zunächst verhörten sie ihn unter Androhung ewiger Verdammnis, aber er gestand nicht. Gestand nicht, dass er dem Bild seiner Träume aufgelauert hatte, um es unbekleidet zu sehen. Wie sollten ihn auch ihre Drohungen zum Sprechenbringen? Drohungen dieser Art hatte er schon viel zu oft gehört.
    »Dann hast du es dir selbst zuzuschreiben«, brüllte sein Stiefvater und sprang ihn von hinten an. Er war völlig überrumpelt. Der Stiefvater war vielleicht nicht stärker, aber er drehte seine Arme auf den Rücken und hielt sie mit eisernem Griff fest.
    »Nimm das Kreuz«, rief er seiner Frau zu. »Schlag ihm den Teufel aus dem verdorbenen Leib! Schlag ihn, bis alle Sünden ausgetrieben sind!«
    Er sah ihren wilden Blick und er sah, wie sie das Kruzifix erhob. Als der erste Schlag fiel, spürte er ihren muffigen Atem im Gesicht.
    »Im Namen der Herrlichkeit Gottes!«, rief sie und hob das Kruzifix noch einmal. Auf ihrer Oberlippe sammelten sich Schweißperlen, und der Stiefvater packte noch fester zu, während er stöhnte und unablässig sein »Im Namen des Allmächtigen« wiederholte.
    Nach zwanzig Schlägen auf Schultern und Oberarme trat seine Mutter zurück. Schwer atmend und erschöpft.
    Von da an gab es keinen Weg zurück.
    Seine beiden Stiefschwestern standen weinend im Zimmer nebenan. Sie hatten alles gehört und schienen aufrichtig geschockt zu sein. Eva hingegen ließ sich nichts anmerken, obwohl garantiert auch sie alles mitgekriegt hatte. Unbeirrt machte sie mit ihrer Blindenschrift weiter, aber die verbitterten Gesichtszüge konnte sie nicht verstecken.
    Am selben Abend tat er heimlich Schlaftabletten in den Abendkaffee der Eltern. Und als es Nacht geworden war und beide tief schliefen, nahm er ein Glas und löste sämtliche Pillen in Wasser auf. Es dauerte, bis er die Eltern auf den Rücken gedreht und ihnen den Pillenbrei eingeflößt hatte. Aber Zeit hatte er mehr als genug.
    Er wischte das Pillenglas ab, presste die Finger des Stiefvatersdarum, nahm zwei Wassergläser, wiederholte das Prozedere mit den Fingern beider, stellte jedes Glas auf den jeweiligen Nachttisch und goss etwas Wasser hinein. Dann zog er die Tür hinter sich zu.
    »Was hast du da drinnen gemacht?«, hörte er eine Stimme.
    Er sah in die Dunkelheit vor sich. Hier war Eva im Vorteil. Sie war eine Vertraute der Nacht und hatte ein Gehör so scharf wie ein Hund.
    »Nichts. Ich wollte nur um Entschuldigung bitten, aber sie schlafen tief und fest. Ich glaube, sie haben Schlaftabletten genommen.«
    »Dann hoffe ich, dass sie gut schlafen«, entgegnete sie nur.
    Am nächsten Morgen wurden die Leichen abgeholt. Der Skandal wegen der Selbstmorde war groß in dem kleinen Ort. Eva schwieg. Vielleicht ahnte sie bereits, dass dieses Unglück und der Umstand, dass ihr Bruder auch an ihrer Blindheit schuld war – worüber er sich auf seine stille Weise grämte   –, für sie eine Absicherung vor einem Leben in Armut sein würde.
    Was die Stiefschwestern anging, so suchten sie ein paar Jahre später die Ewigkeit. Sie gingen Hand in Hand ins Wasser, und die See nahm sie auf. Damit waren sie von allen schmerzlichen Erinnerungen befreit. Aber er und Eva waren das nicht.
    Der Tod der Eltern lag nun mehr als fünfundzwanzig Jahre zurück. In der Zwischenzeit hatte er noch weit mehr Menschen ereilt, die das Wort »Nächstenliebe« im Rahmen der mannigfaltigen Ausprägungen des Fanatismus falsch gedeutet hatten.
    Zur Hölle mit ihnen allen. Zur Hölle mit denen, die da glaubten, sich im Namen Gottes über alle anderen erheben zu können.
    Wie sehr er sie hasste! Und wie sehr er sich wünschte, sie allesamt von der Erde zu entfernen!
     
    Er zog den Schlüssel für den Lieferwagen und den für das Haus in Ferslev von seinem Schlüsselring, sah sich gründlich um und ließ beide unter die oberste Mülltüte in der Mülltonne des Nachbarn gleiten.
    Dann ging er zurück und leerte seinen Briefkasten.
    Die Reklame flog sofort in den Papierkorb, den Rest warf er auf den Esstisch. Zwei Fensterbriefumschläge, die beiden Tageszeitungen und ein kleiner, handgeschriebener Zettel mit dem Logo des Bowlingclubs.
    Natürlich stand nichts in den Zeitungen, das konnten sie nicht geschafft haben. Der regionale Radiosender hingegen war schon auf dem neuesten Stand. Zunächst brachten sie etwas über zwei Litauer, die sich bei Streitigkeiten untereinander übel

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