Erlösung
Täters schnellstmöglich feststellen will. Undselbstverständlich wollen wir dabei gern behilflich sein. Aber der Zustand der attackierten Krankenschwester ist bedauerlicherweise noch immer ernst. Deshalb müssen wir aus ärztlicher Sicht das Wohl der Kranken voranstellen. Sie befindet sich in einem Schockzustand, und es ist sogar möglich, dass ein Halswirbel gebrochen ist. Sie können sie frühestens morgen Vormittag vernehmen. Wir wollen hoffen, dass wir die Sekretärin bald erreichen, die den Mann gesehen hat. Sie wohnt in Ishøj, also dürfte sie in zwanzig Minuten zu Hause sein, wenn sie den direkten Weg genommen hat.«
»Um keine Zeit zu verlieren, haben wir bereits einen Kollegen losgeschickt, der bei ihrer Wohnung wartet. Aber wie steht es mit Isabel Jønsson?« Carl sah deren Bruder fragend an. Der nickte. Für ihn wäre es in Ordnung, wenn Carl sie befragte.
»Ja. Verständlicherweise ist sie sehr aufgewühlt. Atmung und Herzrhythmus sind zwar noch immer instabil, aber wir sind der Auffassung, dass Isabel der Kontakt zu ihrem Bruder guttun könnte. Unsere Untersuchungen sind in fünf bis zehn Minuten abgeschlossen, dann können Sie zu ihr.«
Carl hörte es von der Eingangstür her poltern. Roses Tasche hatte sich in der Spanngardine verhakt.
Kommt, wir gehen nach draußen, signalisierte er Assad und Rose.
»Was willst du von mir?«, fragte Rose draußen auf dem Gang. Sie strahlte von Kopf bis Fuß Unbehagen aus. Ob sie ein Problem mit Krankenhäusern hatte?
»Ich habe eine heikle Aufgabe für dich«, sagte Carl.
»Was?« Sie wirkte wie auf dem Sprung, jederzeit bereit, wegzulaufen.
»Ich möchte, dass du einen Jungen anrufst. Du musst ihm klarmachen, dass er uns helfen muss, und zwar auf der Stelle, denn sonst sterben seine Geschwister. Jedenfalls glaube ich das. Er heißt Josef und ist achtzehn. Sein Vater ist vorgesterngestorben und seine Mutter liegt hier auf der Intensivstation. Darüber hat ihn die Polizei von Viborg bestimmt schon informiert. Allerdings ist auch seine Mutter eben gerade gestorben, und das weiß er sicher noch nicht. Ihm diese Nachricht telefonisch zu übermitteln, wäre entgegen allen Regeln der Ethik. Es kann aber sein, dass es nötig ist. Das musst du entscheiden, Rose. Er muss deine Fragen beantworten. Er muss. Egal wie.«
Sie war wie gelähmt. Machte immer wieder Anläufe zu protestieren, aber es war, als steckten ihre Worte fest zwischen Angst und Einsicht in die Notwendigkeit. Sie sah Carl ja an, wie sehr es drängte.
»Und warum ich, warum nicht du oder Assad?«
Er erzählte, wie der Junge einfach aufgelegt hatte. »Wir brauchen eine neutrale Stimme. Eine schöne und sanfte Frauenstimme wie deine.«
Er hätte laut losgeprustet, hätte er sich zu einem anderen Zeitpunkt so über ihre Stimme geäußert. Aber momentan gab es nichts zu lachen. Sie musste es einfach tun. Punkt.
Er instruierte sie, welche Informationen er von dem Jungen brauchte, und bat Assad dann, sich ein paar Schritte mit ihm zurückzuziehen.
Rose zitterten die Hände, das hatte er noch nie gesehen. Vielleicht wäre Yrsa besser damit zurechtgekommen? Irgendwie zeigte sich doch immer wieder, dass diejenigen innerlich am weichsten waren, die äußerlich so abgebrüht wirkten.
Sie beobachteten, wie Rose langsam sprach. Wie sie vorsichtig eine Hand hob, als wollte sie den Jungen davon abhalten aufzulegen. Mehrmals presste sie die Lippen zusammen und richtete den Blick zur Decke, um nicht selbst in Tränen auszubrechen.
Selbst Carl fand es nicht leicht, Rose dabei zuzuschauen. So viel brach in diesem Augenblick zusammen. Gerade hatte sie dem Jungen erzählt, dass sein Leben und das seiner Geschwisternie mehr so sein würde wie früher. Carl begriff nur allzu gut, wogegen sie ankämpfte.
Jetzt öffnete sie den Mund und hörte konzentriert zu, wobei sie sich mit dem Handrücken die Tränen abwischte. Sie atmete tiefer. Stellte Fragen, ließ dem Jungen am anderen Ende Zeit zum Antworten. Und winkte Carl nach einigen Minuten zu sich.
Sie hielt den Hörer zu. »Er will nicht mit dir reden, nur mit mir. Er ist extrem aufgewühlt. Aber du darfst ihm Fragen stellen.«
»Das habt ihr beiden ganz toll hingekriegt, Rose. Hast du ihn nach dem gefragt, was wir besprochen haben?«
»Ja.«
»Wir haben also eine Personenbeschreibung und einen Namen?«
»Ja.«
»Etwas, das uns direkt zu dem Mann führen kann?«
Sie schüttelte den Kopf.
Carl fasste sich an die Stirn. »Dann glaube ich nicht, dass ich noch
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