Erlösung
idiotisch an den nächstliegenden Stellen verstecken, legen Männer ihre Autoschlüssel immer oben aufs Vorderrad, wenn sie die nicht bei sich haben wollen. Was hast du für eine hübsche kleine Bowlingkugel an deinem Schlüsselring? Du gehst also zum Bowling? Hast du mir nie erzählt. Eine Kugel mit der Nummer eins. Bist du so gut?«
Langsam fing er an zu schwitzen. Es war lange her, dass ihm die Kontrolle in dieser Form entglitten war. Nichts war schlimmer.
»Ja, ja, ganz ruhig. Ich hab den Autoschlüssel wieder an seinen Platz gelegt. Auch deinen Führerschein. Und den Fahrzeugschein für den Lieferwagen. Und deine Kreditkarte. Und alles andere. Liegt alles wieder hübsch da, wo ich’s im Auto gefunden hab. Gut versteckt unter den Gummimatten.«
Er richtete den Blick auf ihren Hals. Der war nicht gerade zart, da musste man schon ordentlich zupacken. Das würde ein paar Minuten dauern, aber Zeit hatte er ja genug.
»Du hast recht, ich bin ein sehr zurückhaltender Mensch«, sagte er und trat einen Schritt näher. Dabei legte er seine Hand wie absichtslos auf ihre Schulter. »Hör mal, Isabel. Ich bin wirklich sehr verliebt in dich. Aber ich konnte dir doch nicht die Wahrheit sagen, das verstehst du doch wohl, oder? Herrje, ich bin verheiratet, habe Kinder. Das ist mir hier alles außer Kontrolle geraten, es tut mir so leid. Deshalb muss ich es einfach beenden, es geht nicht anders. Kannst du das nicht nachvollziehen?«
In einer stolzen Geste hob sie den Kopf. Verletzt, aber nicht besiegt. Sie hatte schon öfter mit verheirateten Männern zu tun gehabt, die sie angelogen hatten, da war er sich sicher. Und genauso sicher wollte er dafür sorgen, dass er der letzte Mann in ihrem Leben blieb, der sie betrog.
Sie fegte seine Hand von ihrer Schulter. »Du hast mir niedeinen richtigen Namen genannt und du hast mich in allen möglichen anderen Punkten belogen, keine Ahnung, warum. Und jetzt willst du mir weismachen, es liegt alles nur daran, dass du verheiratet bist? Und das soll ich dir glauben?«
Als hätte sie seine Gedanken gelesen, zog sie sich ein Stück zurück. Als würde da hinter ihr griffbereit eine Waffe liegen.
Wenn man das Gefühl hat, zusammen mit einem wütenden Eisbären auf einer Eisscholle zu stehen, dann muss man blitzschnell seine Möglichkeiten abwägen. Im Moment sah er vier.
Ins Wasser springen und schwimmen.
Auf eine andere Eisscholle springen.
Abwarten und schauen, ob der Eisbär hungrig oder satt ist.
Und schließlich: den Eisbären töten.
Alle Möglichkeiten hatten offenkundige Vor- und Nachteile. Doch gerade jetzt hatte er keinen Zweifel, dass die vierte Option die einzig praktikable war. Die Frau ihm gegenüber war verletzt und bereit, sich mit allen Mitteln zu verteidigen. Zweifellos, weil sie sich tatsächlich in ihn verliebt hatte. Das hätte ihm früher auffallen müssen. Aus Erfahrung wusste er schließlich, dass Frauen in solchen Situationen schnell mal irrational und unberechenbar wurden.
Und da er die Schäden, die sie ihm zufügen konnte, so schnell nicht zu überblicken vermochte, musste er sie loswerden. Die Leiche mit dem Lieferwagen mitnehmen und entsorgen, wie schon andere vor ihr. Ihre Festplatte zerstören und alle Spuren im Haus beseitigen.
Er sah ihr in die schönen grünen Augen und schätzte ab, wie lange es dauern würde, bis sie nicht mehr glänzten.
»Ich habe meinem Bruder erzählt, dass ich dir begegnet bin«, sagte sie, »und habe ihm das Kennzeichen deines Lieferwagens, die Nummer deines Führerscheins, deinen Namen und die Adresse auf dem Fahrzeugschein gemailt. Sicher, das ist alles Kleinkram für ihn. Er hat nun wirklich anderes zu tun. Aber er ist von Natur aus neugierig. Und sollte sich herausstellen,dass du mich in irgendeiner Weise bestohlen hast, dann findet er dich. Kapiert?«
Für einen Moment war er wie gelähmt. Selbstverständlich fuhr er nicht mit Papieren oder Plastikkarten herum, die seine wahre Identität verrieten. Aber trotzdem: Dass jemand überhaupt einen Verdacht – wenn auch einen völlig falschen – gegen ihn hegte und ihm obendrein mit der Polizei drohte, das hatte er noch nie erlebt und das war es, was ihn jetzt lähmte. Eine Weile überblickte er nicht mal, was ihn überhaupt in diese Situation gebracht hatte. Was hatte er unterlassen, wo hatte er einen Fehler gemacht? Lag es daran, dass er sie nicht gefragt hatte, worin ihr Job bei der Stadtverwaltung bestand? War die Antwort wirklich so einfach? Ja, so war es
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