Erlösung
auch einfach nur vermessen zu glauben, dass er sich deswegen keine Gefühle zugestehen durfte. Dieser Verlust bedeutete ihm jedenfalls etwas.
„Es wird dich im Übrigen freuen, dass in Zürich alles gut ausgegangen ist.“
Ich starrte ihn perplex an. „Was meint ihr, Sir?“
„Nun, der andere Teil von Elisabeths Gefolge hat einen Versuch gegen uns gestartet. Sie sind in das Quartier in Seefeld eingefallen.“ Die Andeutung eines Grinsens zuckte in seinen Mundwinkeln. „Sagen wir lieber, sie haben es versucht. Es ging sehr schnell.“
Mein Herz war nur noch ein Klumpen Eis. „Liz…“
„Niemandem ist etwas passiert, keine Sorge.“ Er tippte sich mit der schmutzigen Hand an die Stirn. „Gabriel ist ein Ältester und er ist von meinem Blut, das Band, welches uns verbindet ist aussagekräftiger als jede übermittelte Nachricht. Alle sind wohlauf.“ Diese Tatsache würde ich nicht infrage stellen. Wie auch? Ich fühlte sogar noch das Bündnis mit Vincent, so als wäre er immer noch hier.
Bis wir mit dem Ausgraben fertig waren, sagte keiner mehr etwas. Dann stand Aribo auf und sein Haar rutschte dabei etwas zur Seite. Erst jetzt fiel mir auf, dass seine rechte Gesichtshälfte schwer angeschlagen war. Die Haut war als solche kaum noch erkennbar. Ein paar Brandblasen zierten den letzten kläglichen Rest seiner Wange, alles andere war nicht mehr als ein blutiger Mix aus verkohltem Fleisch und gerissener Muskeln und Fasern. Er bemerkte, dass ich ihn anstarrte.
„Manchmal kann man Mutter Natur nicht bezwingen. Da meine Fähigkeit nur im Freien funktioniert, blieb mir keine Wahl, doch ich habe dieses Mal etwas zu lange mit ihr gerungen." Ich fragte mich, wie lange er dem Sonnenlicht ausgesetzt war, damit das passieren konnte. Immerhin hatte es wohl nur seinen Kopf erwischt, der Anzug und somit auch sein Körper schienen unversehrt.
„Erweisen wir Marcus die letzte Ehre und dann lass´ uns von hier verschwinden." Ich nickte und half ihm, die Überreste ins Grab zu legen. Kaum zu glauben, dass von einem so mächtigen Vampir nicht mehr übrig geblieben war. Anschließend bedeckten wir wieder alles mit Erde. Aribo schloss dann auf einmal die Augen.
„Marcus, als Zeichen des Respekts wähle ich zum Abschied die Worte eines größeren Mannes und Poeten als ich es je sein könnte:
Was zu glücklich, um zu leben, was zu scheu, um Klang zu geben, was zu lieblich zum Entstehen, was geboren zum Vergehen.
Was die Monde nimmer bieten, Rosen aus verwelkten Blüten, Tränen dann aus jungem Leide und ein Klang verlorner Freude.
Du weißt es, alle, die da sterben und die für immer scheiden gehen, die müssen, wär´s auch zum Verderben, die Wahrheit ohne Hehl gestehn.
So leg ich´s denn in deine Hände, was immer mir das Herz bewegt; es ist die letzte Blumenspende, auf ein geliebtes Grab gelegt.*
Ruhe in Frieden, alter Freund.“ Er hatte es in Deutsch vorgetragen, und obwohl ich nur wenige Brocken dieser Sprache verstand, hatte ich zumindest den Dichter erkannt.
„Theodor Storm, nicht wahr?“
„Ganz recht. `Abschied´ war eines seiner Lieblingsgedichte. Ziemlich passend.“
„Kannten sie sich?“
„Sie waren gut befreundet und ich dachte, dass es sich für diesen Moment besonders gut eignet.“ Das Oberhaupt lächelte wehmütig. Ich benötigte eine Sekunde, um den Gedanken zu greifen.
„Befreundet? Aber er war doch ein Mensch.“ Oder hatte ich etwas nicht mitbekommen?
Aribo´s Gesichtszüge wirkten wieder wie zuvor. „Auch ein Vampir hat manchmal menschliche Freunde. Du kennst doch auch sicherlich jemanden bei dem das zutrifft.“ Dieser Hieb hatte gesessen. Der Hauch eines Lächelns umspielte kurz seine Lippen. „Es war vor seiner Zeit als Ratsmitglied, aber es stimmt, auch bei uns gab es die Ausnahme von der Regel.“ Auf dieses Geständnis wagte ich nichts zu sagen.
Wir gingen schweigend zur Ruine zurück. Lucas lag immer noch dort, wo ich ihn abgelegt hatte. Konnte er tatsächlich wieder zu Kräften kommen? Ich hoffte es inständig. Elisabeth durfte nicht recht behalten.
„Genickbruch? Hm…" Aribos Frage erwartete keine wirkliche Antwort. Er hockte sich neben den erstarrten Körper. Sein entspannter Gesichtsausdruck beruhigte mich aber irgendwie ein wenig. „Das kriegen wir schon wieder hin, mein alter Freund." Er führte sein Handgelenk an seinen Mund und biss zu. Das tiefe Rot seines Blutes war ein grotesker Gegensatz zu seiner bleichen Haut und seinem hellen Haar.
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