Erlösung
Langsam quoll es aus der offenen Wunde hervor und Aribo platzierte seine Hand genau über Lucas Mund. Mit den Fingern seiner anderen Hand spreizte er die Lippen des Ratsmitglieds und das kostbare Elixier tropfte langsam in dessen Mund. Ebenso träge schien es sich auf der Zunge zu verteilen, um endlich im Rachen zu verschwinden.
Elisabeths Äußerung ging mir erneut durch den Kopf. „Wird er wieder gesund?“ Eigentlich war diese Wortwahl vollkommen absurd, wenn man bedachte, dass ein Vampir untot war, aber er verstand, was ich damit meinte.
„Es wird eine kleine Weile dauern. Mein Blut sorgt für die erste Überbrückung, doch wenn wir in der Schweiz sind, dann muss sein gesamter Körper fixiert werden und eine richtige Bluttransfusion eines Ältesten ist unabdingbar. Ich bin zuversichtlich, dass er wieder ganz der Alte sein wird. Wir haben unsere Methoden und Forschung ist ein wichtiger Fortschritt, dem der Rat äußerst positiv gegenüber steht. Ein großer Teil unseres Geldes fließt in mehrere Projekte, dadurch haben wir diese resistenten Anzüge entwickeln können. Und wir arbeiten weiter daran, dass die Ältesten wahrhaftig unverwundbar werden.“ Aribo drehte sich erneut zu Lucas und er zog seinen Arm wieder zu sich zurück. Als er dann aufstand, platzte es einfach aus mir heraus.
„Ich kann nicht von hier verschwinden, Sir, ohne Vincent mitzunehmen."
Sein Blick wirkte nun unerwartet mitfühlend. „Es tut mir leid, aber das geht nicht. Wir werden ohne ihn nach Zürich zurückkehren müssen."
Ich schüttelte den Kopf. „Bei allem Respekt, Sir, ich werde meinen Schöpfer nicht hier lassen."
„Nicholas, das war sein Wunsch, nicht meiner."
„Wie bitte?" Hatte ich tatsächlich schon den Verstand verloren?
„Ich musste es ihm versprechen. Er sagte, er würde mit Elisabeth zugrunde gehen und das, was von ihnen übrig bleiben würde, sollte sich selbst überlassen werden. Die Natur wird ihre Spuren schnell verwischen."
„Warum?“
Er zuckte mit den Achseln. „Das weiß ich nicht.“ Wieso um Himmelswillen hatte Vincent so einen Wunsch gehegt? Diese Frage würde ich wahrscheinlich nie mehr klären können, doch wenn es so war, dann wollte ich seinem letzten Anliegen nachkommen, ob es mir passte oder nicht.
„Ich kann verstehen, dass es schwer ist. Manchmal muss man aber Dinge geschehen lassen und Tatsachen akzeptieren. So wie der Rat der Ältesten.“ Aribo legte mir eine Hand auf die Schulter. „Vincent hat dir bestimmt schon verraten, wie wir über dich und Lesley entschieden haben, oder?“ Ich nickte abermals, ohne etwas zu erwidern. „Dann nutze diesen Umstand aus. Sieh nach vorne, schaue in eure gemeinsame Zukunft und bewahre das Andenken deines Mentors, denn genau das hätte ihm gefallen.“ Er hatte recht.
„Natürlich. Das werde ich.“ Das Zögern war dennoch aus jedem einzelnen Wort herauszuhören.
Aribo musterte mich. „Aber?“
„Eine Sache verstehe ich trotzdem nicht und sie lässt mich irgendwie nicht los. Ihr hattet euch doch gegen uns ausgesprochen, und das ohne jeden Zweifel. Aus welchem Grund habt ihr euch umstimmen lassen?“ Mein Gewissen zischte leise, warum bohrte ich überhaupt nach. Konnte ich diesen glücklichen Umstand nicht einfach hinnehmen?
„Ich sagte doch schon; manchmal gibt es die Ausnahme von der Regel. Auch der Rat ist nicht gänzlich herzlos, Nicholas. Uns war ziemlich schnell bewusst, dass ihr euch wirklich liebt. Und das entscheidende Zünglein an der Waage war dann letztendlich auch, dass sie auf unsere Frage hin, sogar ein Leben ohne dich gewählt hätte.“ So ganz konnte ich ihm nicht folgen.
„Ich verstehe nicht.“
„Weil du ihr so viel bedeutest hätte sie unser Angebot angenommen. Sie sagte, sie würde wieder in ihr altes Leben zurückkehren, mit oder ohne ihr Gedächtnis, damit du nicht ihretwegen in Schwierigkeiten gerätst. Sie war wirklich selbstlos ohne Frage und dankbar über die bisherige Zeit mit dir. Sie hat nicht um ihr Leben gebettelt, sondern hat sich einzig und allein um dich gesorgt. So etwas beeindruckt dann sogar mich.“ Er grinste zaghaft. Diese Erkenntnis wirkte wie eine warme, liebevolle Umarmung. Liz war wahrhaftig ein Engel.
„Nun denn, entfernen wir schnell diejenigen Vampire, die sich noch nicht in Asche und Flüssigkeit aufgelöst haben, damit wir von hier verschwinden können. Aber vorher…“ Aribo zog ein winziges schmales Kästchen aus seinem rechten Stiefel hervor. Ich konnte nicht erkennen, was es
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