Erlösung
natürlich trotzdem viel zu kurz war, aber noch nicht einmal das war ihr vergönnt gewesen.
„Evelyn, hättest du dich nur für mich entschieden.“ Nicht mehr als ein Krächzen, doch der Schmerz war deutlich hörbar. Er war überrascht, dass die Worte aus seinem Mund gekommen waren. Aber wem sollte er etwas vormachen? Zu lange hatte er versucht die Erinnerung zu verdrängen. Er hatte sie beiseite geschoben, hatte sie in den hintersten Winkel seines Bewusstseins vergraben und dort war sie für Jahre verborgen geblieben. Bis Nicholas sie aufgespürt hatte. Peter lachte tonlos. Ausgerechnet er war es gewesen, der den Zugang zu seinen entlegenen Gedanken gefunden hatte. Nun war ihm auch klar, dass er alle Empfindungen niemals so weit verstecken konnte, denn Evelyn würde ewig in seinem kalten Herzen verweilen. Und dafür war er dankbar. Durch den Schmerz würde er immer wissen, dass sie da gewesen war, dass er tatsächlich geliebt hatte. Es würde ihm helfen, dieses menschliche Gefühl zu behalten.
„Du warst für mich die einzige, die mir etwas bedeutet hat, Evelyn. Ich verspreche dir, dass es so bleiben wird, bis mein Körper ebenfalls irgendwann zu Staub zerfällt.“ Peter war nie der romantische Typ gewesen, aber in jenem Moment war es genau das, was er fühlte und er hatte es aussprechen wollen, auch wenn niemand da war, um es zu hören.
Der Wind raschelte plötzlich in den Blättern der vielen Bäume, die den kleinen Friedhof umrandeten wie eine hohe und undurchdringliche Mauer. Und die leichten Schritte eines Menschen, der langsam den Pfad hinauf gelaufen kam, entgingen ihm auch nicht. Er hatte nicht erwartet, dass noch jemand zu dieser Stunde kommen würde. Letztendlich konnte es auch nur eine Person sein, die sich trotz Dunkelheit noch hierher verirrte, obwohl er gedacht hatte, sie wäre schon mit Nicholas abgereist. Ein sanfter Geruch stieg ihm in die Nase. Vanille. Was sollte er tun, einfach gehen?
Lesley kam nach einer Weile durch das kleine Eisentor, das den Kiesweg vom liebevoll angelegten Familienfriedhof trennte. Peter stand immer noch neben dem Grabstein und als sie ihn bemerkte, stockte ihr augenblicklich der Atem. Das Blut pulsierte mit einem Mal noch heftiger durch ihren geschwächten Körper. So verlockend, schoss es ihm in den Sinn. Um Gottes Willen, warum war er hier? Lesley wollte seinen Namen sagen, aber es kam kein Wort über ihre Lippen. Ob sie wollte oder nicht, sie fürchtete sich. Und sie war sich sicher, dass es ihn wahrscheinlich bloß noch mehr reizte. Was konnte sie jetzt tun?
Er würde sicherlich bei ihr sein und ihre Kehle aufschlitzen noch ehe sie überhaupt nach Nicholas rufen konnte. Verflucht! Wieso hatte sie noch mal hierher kommen wollen? Sie kannte die Antwort, obgleich sie irgendwie absurd war. Lesley wusste nicht, wann oder ob sie wieder hierher zurückkommen konnte. Und es gab nur zwei Menschen, von denen sie sich unbedingt verabschieden wollte. Ihre beste Freundin war allerdings schon nach Hause gegangen und sie wollte Colette nicht in unnötigen Aufruhr versetzen, sie konnte ihr diese ganze Sache schließlich nicht erklären. Dafür war erstens keine Zeit und wie sollte sie ihr jemals klar machen, was nun in ihrem Leben vorging? Vampire, Kämpfe und die Aussicht auf Unsterblichkeit – sie konnte momentan einfach nur lügen, und das war keine besonders gute Alternative. Also schob sie dieses Gespräch beiseite, so lange sie noch konnte. Die andere Person, der sie lebe wohl sagen wollte, war aber noch auf dem Anwesen. Und auch wenn sie nicht antworten konnte, Lesley glaubte zumindest daran, dass sie ihr zuhören würde.
„Ich wollte mich nur verabschieden“, die Worte waren plötzlich aus ihrem Mund. Peter fixierte sie. Du meine Güte, ihr waren seine leuchtenden Augen noch nie so aufgefallen. Sie glühten fast noch heller als Nicholas. Und die Farbe changierte von hellem Blau bis hin zu einem rauchigen Grau. Wunderschön, wenn man mal davon absah, wem sie gehörten.
„Ich auch“, erwiderte Peter knapp. Was hatte er da gesagt? Ach verdammt, was sollte es bringen einfach zu verschwinden. Er musste sich endlich der Tatsache stellen, dass er fast die Tochter seiner großen Liebe getötet hätte. Er hatte ihr schon schlimme Dinge angetan, es würde sich nicht mehr rückgängig machen lassen und er hatte ganz gewiss nicht auf eine Begegnung oder Konfrontation mit ihr gehofft. Er wäre ihr auch aus dem Weg gegangen… aber er hatte nicht gehen können. Als wären
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