Erloschen
Nadira ihm ausgedruckt hatte. Er versuchte, es an dem Hintergrund auszurichten, der noch erkennbar war. Ramirez hatte dieses Material vor der zweiten Explosion gedreht, sodass die Umgebung anders aussah als jetzt.
Er orientierte sich an den Straßenschildern und Ecken der intakten Gebäude, bis er sicher war, dass er den richtigen Winkel hatte. Dann zählte er die Schritte bis zu jener Stelle ab, an welcher der Mann zuletzt auf dem Film zu sehen gewesen war.
Tully hielt das Foto vor sich, während er langsam vorwärtsging, und studierte die Umgebung. Er sah zum Gras, dem Bordstein und der Straße hinüber, achtete auf das, was direkt auf seinem Weg lag.
Nach wenigen Minuten glaubte er, zu weit gegangen zu sein, und machte kehrt. Dann blieb er stehen und sah wieder das Foto an. Er rückte seine Brille nach oben. Auf dem Bild befand sich hinter der rechten Schulter des Mannes ein Laternenpfahl, an dem ein Plakat klebte. Tully konnte die Einzelheiten auf dem Plakat nicht erkennen, sehr wohl aber, dass es mit übertrieben breiten Klebefilmstreifen befestigt worden war.
Er blickte sich um und entdeckte den Laternenpfahl. Plakat und Klebefilmstreifen waren noch da, wenn auch beide voller Staub und Asche. Tully ging auf den Gehweg und stellte sich an exakt jene Stelle, von der er glaubte, dass dort der Mann gestanden hatte. Mit einem Blick über die Schulter vergewisserte er sich, dass das Straßenschild im gleichen Abstand zu ihm war wie auf dem Foto. Dann holte er tief Luft.
Okay, wo bist du von hier aus hin?
Er drehte sich langsam um die eigene Achse, betrachtete jeden Eingang, jede Feuerleiter. Auf dem Foto standen keine Wagen in der Nähe, hinter denen er sich verstecken konnte. Tully hatte eine volle Drehung vollführt, ehe er es sah.
Drei Schritte zu seiner Linken stieg Dampf aus einem Kanaldeckel.
42
Alles, was Cornell Stamoran auf dieser Welt noch besaß, war in dem roten Rucksack. Warum hatte er den bloß nach dem Kerl geworfen?
Es war eine Art Reflex gewesen – kämpfen oder fliehen –, und auch wenn Cornell in seinem Leben schon so manches getan hatte und gewesen war, ein Kämpfer war er nicht. Aber er war gut im Weglaufen.
Seit dem Feuer lief er ständig vor irgendetwas weg. Er hatte sich durch den Unterleib der Stadt gekämpft, war vor und zurück gelaufen, hatte sich Rohre und Ventile gemerkt, während er durch Dreckwasser stakste. Der Gestank machte ihm nichts aus. Man konnte nicht auf der Straße leben, wenn man den Gestank nicht aushielt. Nicht mal sein Körpergeruch störte ihn noch.
Was Cornell zusetzte, waren die Geräusche. Die Echos da unten waren schaurig, genauso das Tropfen, Zischen und Fauchen, das Heulen und Surren in den Rohrleitungen. Er konnte nicht einschätzen, was zum Geier um ihn herum los war, ob er Schritte hinter sich hörte oder es sich nur einbildete. Allerdings war er sich ziemlich sicher, dass er verfolgt wurde.
Zuerst hatte er Angst gehabt, dass es der Mann war, den er dabei gesehen hatte, wie er Benzin in der Gasse verschüttete. Diesen Blick, als er Cornell auf dem glitschigen Zeug ausrutschen und hinfallen gesehen hatte, würde er nie vergessen. Oder das schiefe Grinsen, als er das Streichholz anzündete. Hätte Cornell nicht den Kanaldeckel entdeckt und als Fluchtweg benutzt, wäre er jetzt gegrillt.
Aber das war nicht der Mann, der ihm folgte.
Dann dachte Cornell, dass es Zufall sein könnte. Er sah einen anderen Mann, immer denselben, an den unterschiedlichsten Orten, und jedes Mal beobachtete der Kerl ihn. Cornell hatte keine Ahnung, wieso der Typ sich die Mühe machte, ihm nachzustellen.
Für alle Fälle benutzte er jedes Mal verschiedene Zugänge zur Kanalisation. Von unten konnte er durch die Roste oder Löcher nach oben sehen und so fast immer erkennen, ob die Luft rein war. Komischerweise war es zu Stoßzeiten an besonders belebten Kreuzungen am sichersten, weil es dort alle eilig hatten und sich nicht weiter um jemanden scherten, der aus der Kanalisation gestiegen kam.
Glücklicherweise hatte Cornell eine Kanalarbeiterweste und einen Helm gefunden, beides in Grell orange. Anstatt Aufmerksamkeit zu erregen, machten ihn die Sachen quasi unsichtbar. Bald waren Weste und Helm zu seinem wertvollsten Besitz geworden. Sie verschaff ten ihm nicht nur ungehinderten Zugang zur städtischen Unterwelt, sondern auch einiges an Einfluss und Respekt auf der Straße. Als ihm wieder einfiel, dass er über dreißig Dollar in der Tasche seiner Cargohose hatte, gönnte
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