Erloschen
Leiche.
Jefferys spontane Reaktion war: »Was für ein verschwen deter Scheißtag!«
Sam hatte das ungute Gefühl, dass sie nicht viel besser war als er, denn ihre Erleichterung galt nicht vorrangig der Tatsache, dass niemand bei dem Brand ums Leben gekommen war. Sie war froh, dass er nichts von ihrem Filmmaterial verwenden würde, schon gar nicht die von ihr absichtlich sabotierten Aufnahmen von Patrick und Agentin O’Dell.
»Big Mac wird den ganzen Nachmittag auf ein paar Minuten zusammenschneiden«, fauchte Jeffery, als er seine Krawatte lockerte und dabei um ein Haar den obers ten Hemdenknopf abriss. »›Keine Leichen, keine Story‹, hat er gesagt. Ihn kratzt nicht mal, dass das Kirchen waren oder dass man ein halber Chemiker sein muss, um dieses Timing hinzubekommen.«
»Bist du sicher, dass ihn das nicht interessiert? Zwei Kirchen, die am helllichten Tag brennen? Noch dazu in Arlington? Das ist schon was anderes als die Lagerhäuser im Obdachlosenrevier …«
Sie verstummte und widmete sich dem Verstauen ihrer Ausrüstung. Hatte sie das eben allen Ernstes gesagt? O Gott, sie klang wirklich schon wie Jeffery.
»Ich habe vorhin mit ihm gesprochen. Er meint, dass er etwas braucht, um die Story am Leben zu halten.«
Jeffery blieb stehen und guckte ihr zu. Normalerweise blieb er nicht so lange, bis sie zusammengepackt hatte, aber er hatte seinen Wagen bei dem Diner stehen gelassen, und dahin musste sie ihn zurückfahren.
»Aber mein Porträt von O’Dell fand er super«, sagte Jeffery. »Wart’s ab, bis er das Interview mit ihrer Mutter gesehen hat!«
Sam wurde mulmig. Wollte er das nicht vorhandene Material womöglich doch noch? Von dem Interview hatte sie nichts gewusst. Jeffery hatte O’Dells Mutter offensicht lich ins Studio eingeladen, denn Sam hatte nichts damit zu tun gehabt.
»Hey, vielleicht kann ich euch helfen.«
Beide erschraken, denn keiner von ihnen hatte den Feuerwehrmann bemerkt, der von der Absperrung aus auf sie zukam. Er schob seinen Helm nach hinten, und das Erste, das Sam auffiel, war, wie sauber er war. Er hatte keine schwarze Rußschmiere im Gesicht, sein Haar war nicht verschwitzt, kein Rauch, kein Ruß, keine Asche irgendwo an ihm. Sogar seine Stiefel waren trocken.
Er musste ungefähr in Sams Alter sein – um die dreißig – und war klein und muskulös, soweit man es unter der dicken Kleidung erkennen konnte. Er hatte ein kantiges Kinn; seine Nase sah aus, als hätte er sie sich mindestens einmal gebrochen, und er hatte tief liegende, eng beieinanderstehende Augen, die sehr langsam über Sams Körper wanderten. Normalerweise machte ihr das nichts aus, aber bei diesem Typen bekam sie aus irgendeinem Grund eine Gänsehaut.
»Wie man hört, gibt’s hier nicht viel zu erzählen«, sagte Jeffery.
»Ich habe Sie gleich erkannt, als Sie vorhin mit meinem Partner geredet haben. Sie sind Jeffery Cole von CNN .«
Sam hätte fast losgelacht. Sie sollte weggucken, denn sie kannte ja Jefferys Reaktion auf solch eine Ansage.
Zu spät.
Sie sah, wie er lächelte, seinen Brustkorb aufblähte und die Krawatte wieder richtete.
»Und inwiefern glauben Sie, uns helfen zu können, Herr Feuerwehrmann?«
»Tja, mein Name ist Wes Harper. Ich bin ein privater Feuerwehrmann von der Braxton Protection Agency.«
»Sie auch? Bis heute habe ich nicht gewusst, dass es so etwas gibt. Interessant, aber ich glaube nicht, dass wir noch mehr Material brauchen.«
»Ich habe Ihre Sendung gestern gesehen.«
Nachdem Jeffery entschieden hatte, dass der Typ kein »echter« Feuerwehrmann war und ihn folglich nicht interessierte, machte er dicht. Das lief bei ihm ähnlich ab wie bei einem Schauspieler, der seine Rolle gespielt hatte und wieder zu sich selbst wurde: Sein Lächeln war we niger strahlend, wenn auch immer noch höflich genug, um ein Kompliment anzunehmen, und er wollte natürlich das Lob dieses Mannes hören, aber ansonsten war sein Auftritt als Jeffery Cole, der Enthüllungsreporter, für heute beendet.
»Ich weiß, dass Sie lieber mit meinem Partner reden würden, aber nachdem der Sie hat abblitzen lassen, kann ich ja vielleicht einspringen.«
»Sehr nett von Ihnen, doch wir haben alles, was wir brauchen.«
»Kommt nicht heute Abend so was wie der zweite Teil der Sendung über seine Schwester?«
Sam ließ fast das Objektiv fallen, das sie eben abgeschraubt hatte, und steckte es rasch in die Hülle.
»Wie bitte?« Jeffery ging näher zu Harper, als hätte er ihn nicht gehört. »Dieser
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