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Erloschen

Erloschen

Titel: Erloschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Kava
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angreifbar, wie sie es damals dank Stucky mental gewesen war, half auch nicht unbedingt. Aus dem fiesen Druck in ihren Schläfen konnte jederzeit ein dumpfes Pochen werden, das zu einem Presslufthammerdonnern anschwoll. Das Pochen war über den ganzen Nachmittag immer wieder gekommen und ge gangen, und nun kehrte es zurück.
    Wie wollte sie verhindern, dass es Kernan auffiel?
    Obwohl seine Brillengläser so dick wie Flaschenböden waren, entging ihm nicht das winzigste Zucken oder Blin zeln. Der Mann besaß eindeutig die Kraft, Dinge zu sehen, die niemand sonst bemerkte. Was wohl eine Erklärung für die Einrichtung seines Zimmers war.
    Maggie betrachtete die seltsame Kramsammlung. Ein Einweckglas mit einem menschlichen Frontallappen diente als Buchstütze für dicke Lederbände, von denen Maggie wusste, dass sie seltene Erstausgaben waren. Un ter anderem stand dort Freuds Traumdeutung neben Lewis Carrolls Alice im Wunderland . Letzteres passte besonders gut hierher, denn Maggie konnte sich Kernan problemlos als verrückten Hutmacher vorstellen.
    Auf der Anrichte waren antike Chirurgeninstrumente ausgestellt. Eines erkannte Maggie als Werkzeug wieder, mit dem man früher Lobotomien durchgeführt hatte. Das wusste sie, weil Kernan das Instrument in einem Seminar über abnorme Psychologie gezeigt hatte, das er vor Jahren an der Universität von Virginia gehalten hatte. Maggie war eine seiner Studentinnen gewesen, eine von Tausenden, und dennoch erinnerte er sich bis heute, auf welchem Platz sie gesessen hatte.
    Sie hörte ihn den Flur entlangschlurfen und ertappte sich dabei, wie sie sich auf dem harten Stuhl gerader hin setzte. Es handelte sich um den einzigen Stuhl für Besucher oder Klienten in seinem Zimmer. Neben seinen Schritten war noch ein weiteres Geräusch zu hören, ein Tipp-tapp, Tipp-tapp auf dem Linoleumboden.
    »O’Dell, O’Dell, the farmer in the dell«, sang er seine Variante des alten Kinderliedes, bevor er den Raum betrat.
    Maggie saß mit dem Rücken zur Tür. Sie bemühte sich, ruhig zu bleiben, nicht auf die Schrullen des alten Mannes einzugehen, der inzwischen gewiss schon leicht senil war. Er hatte ein Faible für Wortspiele und alberne Reime, mit denen er seine Studenten wie seine Patienten verunsicherte. Das tat er wahrscheinlich schon länger, als Maggie auf der Welt war. So schaffte er es, so gut wie jedermanns Konzentration Bröckchen für Bröckchen zunichtezumachen und so den Denkprozess des Gegen übers empfindlich zu stören, bis er unaufmerksam wurde, sich nur für den nächsten Schwall unsinniger Phrasen wappnete und nicht mehr überlegte, welche Antwort auf Kernans Frage die beste war. Bei Maggie würde es diesmal nicht funktionieren. Sie war auf dieses Psychoduell vorbereitet.
    Doch zu ihrer Überraschung betrat zuerst ein Hund das Zimmer. Der kleine braun-weiße Corgi stupste ihre Hand mit der Schnauze an, als wollte er sie vor seinem Herrchen warnen.
    Gleich hinter ihm, am anderen Ende der Leine, schlurfte Kernan an ihr vorbei. Seine kleine Gestalt wirkte noch gebeugter, das dichte Haar war vollständig weiß. Er trug einen zerknitterten Anzug, und die Kompottschalen- Brillengläser hingen ihm fast auf der Nasenspitze. Ohne ihr auch nur einen Seitenblick zuzuwerfen, ging er zu seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch.
    Der Corgi legte sich in eine Ecke, sowie Kernan die Leine losließ.
    Noch ehe er sich mit dem Rücken zu ihr in seinen Ledersessel setzte, fing er an: »Also. O’Dell, Margaret, Medizinstudentin, die Kleine, die in der linken Ecke meines Seminarraums saß und sich sehr wenige Notizen machte. Miss FBI -Agentin hat eine weitere Wunde zu heilen.«
    Maggie umfasste die Vorderkante der Sitzfläche ihres Holzstuhls. Leider gab es kein Leder, in das sie ihre Fingernägel bohren konnte.
    Dieser Idiot.
    Sie ließ sich von ihm nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Nur zu!
    »Ich dachte, ich hätte dich schon einmal kuriert«, sagte er, während er sich zu ihr umdrehte.
    Selbst durch die dicken Gläser konnte sie sehen, wie seine Augen sie musterten. Sie blickte zu dem Hund und wieder zurück zu Kernan. Dessen wässrig-blaue Augen waren nicht auf ihr Gesicht fokussiert, sondern drifteten ein klein wenig nach rechts.
    Maggie konnte es nicht glauben. Der alte Mann war blind.

48
    Sam war erleichtert, obwohl Jeffery sauschlechte Laune hatte. Seine Stimmung rasselte in den Keller, als sie die letzte Person aus der Kirche trugen – lebend!
    Sieben Überlebende, keine

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