Erloschen
versuchte, sich zu beruhigen. In dem Moment bemerkte er, dass Blut und Flussschlamm an seinen Arbeitsstiefeln hafteten. Er hatte den ganzen Tag mit blutverschmierten Stiefeln gearbeitet.
Verdammt! Er wurde unvorsichtig.
Natürlich hatte das niemand bemerkt. Trotzdem zerrte er sich die Stiefel von den Füßen. Die musste er drin gend sauber machen.
Auf Socken tapste er ins Bad, um in den schwarzen Müllsack zu sehen, den er in der Wanne deponiert hatte. Am Boden hatte sich eine runde Blutlache gebildet, die auf dem weißen Porzellan hübsch dunkelrot wirkte. Er riss das Plastik auf. Der Geruch kam ihm nicht mehr ranzig vor. Eher erinnerte er ihn an rohes Fleisch mit abgelaufenem Verfallsdatum.
Er passte immer auf, ließ die liegen, von denen er wollte, dass sie gefunden wurden, und versteckte jene, die nicht entdeckt werden sollten. Wie zur Hölle hatten sie das Mädchen mit den orangenen Strümpfen gefunden? Und warum jetzt, wo er zufällig gerade wieder in der Ge gend war? War dies der Anfang seiner Pechsträhne?
Samstag
53
Sobald Maggie das Labor der forensischen Anthropolo gin betrat, fiel ihr wieder ein, wie sehr sie den Geruch von kochendem Fleisch hasste. Nicht dass verbranntes oder verfaultes viel besser roch. Und alle drei Varianten waren besonders abstoßend, wenn die Zersetzungsprozesse wil lentlich herbeigeführt wurden, wie es hier der Fall war.
Mehrere Töpfe und ein riesiger Kessel standen auf den Großküchenherden. Maggie konnte das Brodeln im Kes sel sehen, und was immer darin kochte, verströmte ein scheußliches Aroma.
Trotz des Gestanks war Maggie dankbar für die Ab wechslung. Seit gestern Abend ging sie den Anrufen ihrer Mutter aus dem Weg. Heute Morgen hatte sie sich nur zwei der über zwölf Nachrichten angehört, die sie ihr auf Band gesprochen hatte.
»Dieser Jeffery Cole hat alles verdreht, was ich gesagt habe«, jammerte ihre Mutter. »Bei ihm höre ich mich furchtbar an.«
Natürlich stellte sie sich als Journalistenopfer dar, statt zuzugeben, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Und an eine Entschuldigung war überhaupt nicht zu denken. So komisch es anmuten mochte, hielt Maggie lieber diesen ekligen Gestank aus, als sich die albernen Ausreden ihrer Mutter anzutun.
»Sie müssen Agent O’Dell sein«, begrüßte sie eine zierliche Asiatin in einem weißen Laborkittel. »Ich bin Mia Ling.«
Sie stand an einem breiten Stahltisch unter einer Neon lampe und bearbeitete ein Stück Knochen. Ihre Hände steckten in violetten Latexhandschuhen. »Detective Racine ist unterwegs. Sie nehmen mir hoffentlich nicht übel, dass ich Ihnen nicht die Hand gebe. Ich bin beinahe fertig mit diesem Stück.«
»Nein, natürlich nicht. Lassen Sie sich nicht stören.«
Langsam schritt Maggie durch den Raum und lugte in einen der anderen Töpfe. Maden krochen über den schmierigen Film darin. Mehrere hatten es an den Topfrand geschafft. Sie versuchten, an dem Metall nach oben zu gelangen, starben allerdings sogleich mit einem Zi schen und Knacken. Maden gehörten zu den wenigen Din gen, vor denen Maggie sich richtig gruselte.
Bei Autopsien schienen sie unverwüstlich. Selbst wenn man sie tiefkühlte, machte sie das bestenfalls langsamer. Waren sie einmal in einer Leiche, konnten sie nicht entfernt werden, ohne dass man dabei wertvolles Beweis material vernichtete. Und eine Autopsie madenbefallener Opfer war ein Wettlauf mit der Zeit, denn das helle Licht in der Gerichtsmedizin brachte sie zusätzlich in Fahrt. Manchmal schubsten sie sich gegenseitig vom Untersuchungstisch, und auf dem Boden suchten sie nach dem nächsten warmen, feuchten Platz, sodass es durchaus vorkam, dass sie ein Hosenbein hinaufkrochen. Entsprechend empfand Maggie eine morbide Genugtuung dabei, sie kochen zu sehen. Zumindest auf diese Weise konnte man sie zerstören.
Im selben Moment fiel ihr ein, dass an Gloria Dobsons Leiche keine Maden gewesen waren, obwohl sie in der Gasse gelegen hatte.
»Ich würde das auch mit Ihrem Opfer machen«, sagte Ling und wies auf den Topf, »wenn Sie sie nicht bereits identifiziert hätten. Es ist auf alle Fälle leichter, das Fleisch abzukochen, als es von Hand abzulösen.« Sie hielt ein Stück Knochen in die Höhe. »Komisch, aber die Angehörigen sind meistens strikt dagegen, dass wir den Kopf eines Opfers abtrennen und kochen, um nachzusehen, was passiert ist. So bin ich immer wieder gezwungen, das Hirngewebe vom Knochen zu schaben.«
Maggie mochte Mia Ling schon, bevor die
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