Erlosung
Saal zu schlieÃen. Ella nickte ihnen zu, und ein paar von ihnen nickten zurück. Am Ende des Gangs stand ein Feuerwehrmann im Gespräch mit einem Polizeibeamten,
der einen Schäferhund an der Leine hielt. Als er Ella wahrnahm, hob der Hund den Kopf und schaute ihr entgegen. Seine Ohren waren steil nach oben gerichtet, die Augen rotbraun wie glasierte Kastanien.
Ãber den Köpfen der beiden Männer hing an einer Säule ein Monitor, auf dem der groÃe Saal mit der Bühne zu sehen war. Die Bühne wurde von mehreren Scheinwerfern angestrahlt, der Saal versank langsam im Halbdunkel. Der Mann in dem silbergrauen Anzug trat an ein durchsichtiges Rednerpult aus Fiberglas.
Vergeblich suchte Ella zwischen den gerahmten Konzertplakaten und den groÃen Spiegeln an der Wand nach einem Pfeil zum Bühneneingang oder der Künstlergarderobe. Ihr war heià unter der Arztweste, und der Koffer zog ihre Schulter nach unten; die Hüftmuskulatur spannte sich um die Wunde. Dann entdeckte sie neben einem Notausgang zum Treppenhaus einen verglasten Gebäudeplan mit den Fluchtwegen, falls ein Feuer ausbrach. Sie musste noch weiter, an dem Hund und den beiden Männern vorbei.
Auf dem Monitor eröffnete der Mann in dem silbergrauen Anzug die Versammlung mit den Worten: »Ladies and gentlemen, dear stockholders, the board of the Banque National dâAlsace is pleased to welcome you to itâs annual stockholder meeting«, bevor er kurz ins Französische wechselte und schlieÃlich beim Englischen blieb.
Beim Klang der Stimme war Ella, als hätte sich irgendwo eine Tür geöffnet, durch die ihr ein eiskalter Windstoà ins Gesicht schlug. Der Anwalt! Der Mann, der sie in der Wohnung über dem Quartier de lâHorloge gefangen gehalten hatte; es war seine Stimme. Benommen blieb sie einige Sekunden lang stehen, starrte zu dem Monitor hinauf, zu dem Mann, der genauso flieÃend Englisch wie Deutsch sprach. Einen Moment lang war ihr, als hätte sie kein Gehirn mehr, nichts, womit sie Ordnung
in ihrem Inneren schaffen konnte. Sie sah einen dritten Mann, sah ihn aus den Augenwinkeln, er kam von dort, wo sie eben noch gewesen war, aus der Richtung des Haupteingangs. Aber er war zu weit entfernt, sie konnte ihn nicht erkennen.
Der Hund schlug so heftig an, dass sie beinahe ihren Koffer fallen gelassen hätte. Nicht stehen bleiben, weitergehen, und sie ging weiter, bis sie einen der Männer rufen hörte: »Madame!« und gleich nochmal: »Madame, un moment, arrêtez-vous, vous avez â «, aber der Rest ging im Gebell des Hundes unter, nur das Wort sang verstand sie noch: Blut.
Sie blieb stehen und drehte sich um, und in der Bewegung erblickte sie sich selbst in einem der Spiegel und sah noch, dass ihre Weste genau in dem weiÃen Streifen über der Hüfte einen groÃen roten Fleck aufwies. Der Flic beruhigte den Hund, dessen Kastanienaugen auf den blutigen Fleck gerichtet waren. Der Feuerwehrmann kam auf sie zu, hilfsbereit, nicht argwöhnisch. Er sagte etwas, das sie nicht verstand. Er deutete auf eine Tür, neben der ein Toilettenzeichen angebracht war. Sie schüttelte den Kopf, begriff nicht, was er wollte. »Je suis médecin«, sagte sie, aber der Feuerwehrmann redete weiter auf sie ein, und sie sah jetzt auch, wie blass sie war, wie sie schwitzte. Ihr Gesicht glänzte im Spiegel.
Der Feuerwehrmann deutete auf den Boden, wollte, dass sie sich hinlegte. Aber sie schüttelte weiter den Kopf, und als er nach ihr griff, nach ihr oder nach dem Koffer, wich sie zurück. Er sah ernst aus, nicht verärgert, nur ernst und besorgt, und jetzt wurde er energisch, die energischen Hilfsbereiten waren die Schlimmsten, er versuchte sie zu beruhigen, mit sanfter Gewalt nahm er ihr den Koffer ab und legte ihn auf den Boden. »Vous-êtes blessée? «, fragte er. »Mir fehlt nichts!«, sagte sie heftig, und erst, als sie sein Gesicht sah, die plötzliche Vorsicht, merkte sie, dass sie Deutsch gesprochen hatte.
Er sagte etwas, das vermutlich bedeutete, er wolle sich ihren
Rücken mal ansehen, das hätte sie jedenfalls gesagt, und dann hätte sie den Koffer geöffnet, und er öffnete den Koffer, und sie hätte eine Schere herausgeholt, um den Overall aufzuschneiden, und er sah die Pistole, und sie hätte keine Pistole sehen dürfen, aber da war eine, sie lag in dem Notfallkoffer, gleich obenauf, eine Walther PPK, die bei der
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