Erlosung
Taschenkontrolle noch nicht da gewesen war.
Der Feuerwehrmann starrte auf die Waffe, und dann rief er: »Luc!« Der Flic näherte sich vorsichtig. Der Schäferhund zerrte an der kurz gehaltenen Leine. Der Mann mit dem Mantel, der Ella gefolgt war, begann zu laufen.
Unter der Walther lag etwas, das aussah wie ein Flugblatt, und sofort wusste Ella, was das war, obwohl sie nur ein paar fett gedruckte Worte von der Ãberschrift lesen konnte, LAZARE IST ERST DER ANFANG! TOD ALLEN BANKERSCHWEINEN, sogar auf Deutsch, natürlich sie war ja Deutsche, die Tatwaffe und das Bekennerschreiben. Auf dem Röntgenschirm war beides noch nicht zu sehen gewesen. Der Mann am Monitor muss sie in den Koffer getan haben, während der mit dem Handscanner mich abgelenkt hat.
Der Mann mit dem Mantel lief jetzt schneller. Etwas an ihm kam ihr vertraut vor, erst nur vage, doch dann immer deutlicher, und als er »Messieurs, attention!«, rief, erkannte sie auch die Stimme. Hauptkommissar Aziz, der Einzige, der sie zweifelsfrei identifizieren konnte, vom LKA-Beamten zum Terroristenjäger.
Sie handelte instinktiv. Sie versetzte dem Feuerwehrmann einen Tritt gegen die Schulter, griff nach der Pistole und dem Flugblatt und rannte auf den nächsten Notausgang zu. Der Schäferhund bäumte sich auf, bellte und zerrte, aber der Flic war zu überrascht, um ihn von der Leine zu lassen, und gleich darauf war Ella schon bei der Tür und riss sie auf. Im Laufen zog Aziz seine Pistole.
Ella stürzte durch die Tür, ein scharfer Schmerz, als risse jemand ein Stück aus ihrer Hüfte, dahinter der Treppenschacht, sie wusste nicht, wohin, nach unten oder nach oben? Sie entschied sich für oben, nahm immer mehrere Stufen auf einmal, steckte dabei die Walther in die Westentasche und holte ihr Handy heraus.
Anni, pass auf, sie wissen, dass wir hier sind, sie wussten es die ganze Zeit. Sie haben mir eine Pistole in den Koffer geschmuggelt und ein Bekennerschreiben. Jetzt haben sie mich da, wo sie mich immer haben wollten.
Sie hielt das Handy in der Hand, kein Netz, die dicken Betonwände. Sie lief, und auf der nächsten Etage zog sie die Tür auf, dahinter lag ein kahler Gang mit weià getünchten Wänden, von Neonröhren beleuchtet. Sie musste einen Moment stehenbleiben, Luft holen. Sie lehnte sich gegen die Wand, glättete das Bekennerschreiben, das sie zusammengeknüllt in der Faust hielt, und las es:
»Tod allen Bankerschweinen. Schlachtet sie, wo ihr sie findet. In ihren Koben in Frankfurt, London, Paris oder New York, wo sie sich in ihrem stinkenden Geld suhlen. An ihren Schnauzen klebt das Blut von â «
Perfekt, dachte sie, wenn das an die Ãffentlichkeit kam, wurde Lazare tatsächlich zum Märtyrer, aber anders, als er sich das vorgestellt hatte. Ein Opferlamm, geschlachtet von Globalisierungsgegnern; von radikalen Zellen, die alle Banken, alle Börsen, alle Finanzplätze vernichten wollten. Wer sich danach noch für eine schärfere Kontrolle oder staatliche Regulierung von Banken, Fonds und Börsengeschäften aussprach â wer auch nur darüber nachdachte â, musste befürchten, mit den Mördern von Saint Lazare in einen Topf geworfen zu werden.
Ella zog die Walther aus der Tasche und roch an der Mündung: Metall, Schwefel, Feuerstein. Das Magazin war leer.
Kürzlich erst abgefeuert, die haben an alles gedacht. Ich kann
sie wegwerfen, aber ich kann sie nicht aus dem Gebäude schaffen, eine ungeladene Waffe, aus der geschossen wurde, mit meinen Fingerabdrücken darauf.
Die Tür am anderen Ende des Gangs wurde aufgestoÃen. Ein Mann erschien im Rahmen und sah sie sofort. Sie starrten sich an. Aziz hielt seine Pistole noch in der Hand, mit dem Schalldämpfer nach unten. Blitzschnell riss er seine Waffe hoch. Er sagte etwas, das Ella nicht verstand. Sie sah nur seine Lippen, die sich bewegten, und dann sah sie, wie der Lauf der Pistole zuckte.
Sie rührte sich nicht. Sie sah kein Mündungsfeuer und keinen Pulverrauch, sie hörte nicht mal ein Plopp. Dicht neben ihrem Kopf zerplatzte die Glasscheibe eines Erste Hilfekastens an der Wand. Kleine Scherben spritzten ihr ins Gesicht, und da erst begriff sie, dass Aziz tatsächlich auf sie geschossen hatte.
Sie lief nach rechts, wo ein Pfeil zum Fahrstuhlschacht wies. Als sie den Gang hinunterhetzte, hörte sie ein zweites Projektil von der Wand abprallen. Die Fahrstuhltür war
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