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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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Notre-Dame erkannte. Eine der beiden Frauen hatte rotes Haar, das der anderen war blond. Ella sah das blassgoldene, wie gesponnen wirkende Haar, das in der Sonne schimmerte, und sie dachte: Das ist sie . Sie betrachtete ihre Augen, die das Lächeln des Mundes nicht teilten, sondern voller Skepsis waren, Hoffnung und Skepsis und noch etwas – eine Art nervöser Mut.
    Die andere Frau war etwas jünger – ein, zwei Jahre vielleicht – und hatte ein blasses, etwas spöttisches Gesicht, die Stirn und Wangen eingefasst von dem Kupferglanz ihrer kräftigen Locken. Ella war sicher, dass es sich bei dem Mädchen mit dem goldgelben Haar um ihre Patientin handelte. Das Bild war voller Licht und Leben, die umso leuchtender wirkten, als es eine Vergangenheit zeigte, die niemals wiederkehren würde. Sie steckte das Foto in die Innentasche ihres Leinensakkos, dann sah sie sich weiter um.
    Ihr Blick fiel auf ein Büchlein mit dem französischen Titel Le Crash, als ein Lichtpunkt über den Tisch huschte. Sie drehte sich um. Der Lichtpunkt flog zurück – Sonnenschein, reflektiert von einer spiegelnden Scheibe. Ella lief zum Fenster, spähte hinaus. Da, wo sich die Plane gelöst hatte, konnte man das Haus auf der anderen Seite des Hofes sehen.
    Ãœber den Dächern lag jetzt das fließende Schimmern eines Regenbogens. Späte Sonnenstrahlen stießen durch die Wolken und lösten das Wetterleuchten ab. Eine der Balkontüren ging langsam im Zugwind auf und zu, auf und zu, und in einem bestimmten Winkel warf das Fenster einen blendenden Blitz in den Hof.
    Da passiert etwas Schreckliches gegenüber – alles ist voller Blut! – Sie stirbt – sie stirbt – Mein Gott, ich glaube, das war ein Messer! – es ist gegenüber – gegenüber – ich kann es sehen –

    Ella veränderte ihre Position, zog den Vorhang ein Stück beiseite. Von welchem Fenster aus konnte man die Wohnung sehen? Wo hatte der Anrufer gestanden? Sie ging durch den ganzen Raum, und dabei ließ sie den Blick nicht von den Balkonen des gegenüberliegenden Hauses. Wo bist du, anonymer Anrufer? Beobachtest du mich gerade?
    Die blitzende Tür ging zu und nicht wieder auf. Für den Bruchteil einer Sekunde nahm Ella eine Bewegung wahr, die Umrisse einer Gestalt, dann wurde rasselnd eine Jalousie heruntergelassen. Das Rasseln war so laut, dass Ella das andere Geräusch hinter sich in der Wohnung erst gar nicht bemerkte.
    Es war ein leises Kratzen, unregelmäßig und leise. Aber beständig, leise und beständig. Erst als es lauter wurde, erkannte Ella, dass es sich nicht um ein Kratzen, sondern um ein Klirren handelte, Metall auf Metall. Sie hielt den Atem an, um zu lauschen.
    Jemand war an der Wohnungstür. Jemand versuchte das Schloss zu öffnen.
    Ella starrte in den Korridor, der zum Eingang des Penthouses führte. Das Klirren hörte auf. Die Stille schien sich noch enger um sie zusammenzuziehen. Kein Wasserhahn, der tropfte. Nicht einmal das Ticken einer Uhr. Ella sah, wie die Tür sich öffnete; wie der Mann eintrat, nur ein Umriss, eine Schattengestalt, die auf der Schwelle verharrte. Er blickte nicht in ihre Richtung. Sie stand reglos, wie gelähmt.
    Er brauchte nur in die Wohnung zu treten, die Tür zu schließen, und dann war alles wie vorgestern Nacht, als er das Mädchen gefoltert hatte: Er hüllte sich in Zellophan, um seine Kleidung vor dem spritzenden Blut zu schützen; er zog sein Messer; er sagte vielleicht, Doktor Bach? Wo sind Sie, Doktor Bach? Ich komme, Doktor Bach, so wie sie es als Kinder beim Versteckspielen gerufen hatten.

    Auf Zehenspitzen schlich sie zum Kamin, Gott sei Dank hatte sie Turnschuhe an. Sie packte den langen Schürhaken aus schwarzem Schmiedeeisen, nahm ihn lautlos vom Ständer und zog sich langsam zurück, weg vom Kamin, aus dem Wohnraum, in den dunklen Gang, der zu den anderen Zimmern führte. Jetzt konnte sie den Mann nicht mehr sehen, jetzt konnte sie ihn nur hören, seine Schritte, als er genauso langsam wie sie in die Wohnung vordrang.
    Sie stieß gegen einen harten Gegenstand, etwas bohrte sich in ihre Hüfte. Mit der freien Hand griff sie hinter sich, ertastete Holz, eine Kommode. Sie schob sich an der Kommode entlang, rückwärts, lautlos. Ihre rechte Faust umklammerte den Griff des Schürhakens, er war schwer, sie umklammerte ihn so fest, dass die Finger schmerzten.
    Der Mann

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