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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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irgendwo hervorgezerrt hatte, um es mitten im Zimmer abzunagen. Und da ein Glitzern: eine Scherbe von der zerbrochenen Fensterscheibe. Es wirkte, als wäre die Zeit zurückgedreht worden, aber nicht ganz im richtigen Moment stehengelieben.
    Es ist die Stille, dachte Ella; daher kommt deine Panik, deswegen kriegst du kaum noch Luft . Auf einmal begriff sie, warum Max die Stille nicht ertragen hatte. Stille war ein Geräusch, das Atmen der eigenen Angst.

    Wer hat hier aufgeräumt? Was habt ihr gesucht? Habt ihr es gefunden? Sie sah sich um. Wo sollte sie anfangen? Links von ihr befand sich ein mächtiger, rustikaler Schreibtisch, auf dem ein Computer mit einem großen Flatscreen stand, flankiert von einer Lampe mit einem Schirm aus grünem Glas auf der einen Seite und einem Telefon auf der anderen. Der Rest der Schreibtischplatte war mit Büchern und Zeitschriften in verschieden hohen Stapeln bedeckt.
    Auf der anderen Seite des Raums klaffte die rußschwarze Wölbung eines provenzalischen Kamins, komplett mit Schürhaken, Holzzange und Ascheschaufel aus Schmiedeeisen. Ein Dutzend klobiger Kiefernscheite stapelte sich in einer schwarzen Marmorschale. Davor lag ein Zebrafell, das Ella vorgestern Nacht nicht aufgefallen war. Das Gemälde über dem Kamin – was für eine Verschwendung, so ein Bild über eine Feuerstelle zu hängen – war im selben Stil gefertigt wie die Bilder im Korridor, und jetzt erkannte sie, dass es sich um Gemälde der Leipziger Schule handelte.
    Eine dreiteilige Sitzgruppe – zwei Sessel und eine riesige Couch, bezogen mit taubengrauem Nappaleder – blickte über das Zebrafell auf den Kamin und das Gemälde. Kein Couchtisch, keine Coffeetable Books oder Hochglanzmagazine. Die Polster der Couch und der Sessel wirkten neu und nicht ganz passend, als wären die alten aufgeschlitzt worden und hätten zu schnell ersetzt werden müssen.
    Irgendwo hier muss es einen Hinweis darauf geben, was die Entführer gesucht haben, was sie wissen wollen.
    Neben dem Durchgang zu dem Korridor, in dem Ella den blutbespritzten Mann gesehen hatte, stand ein Globus aus dem 18. Jahrhundert, gehalten von einem dunkel gebeizten Holzgestell. An sämtlichen Wänden reichten mit den Wänden verdübelte Bücherregale aus Ebenholz und Stahl vom Boden bis zur Decke.

    Der erste Eindruck: keine Romane, nur Sachbücher, vor allem historische, juristische und wissenschaftliche Texte, Bücher über Politik und Wirtschaft – Memoiren von Willy Brandt, Winston Churchill und General de Gaulle, Biografien von Napoleon, Hitler oder Stalin. Abraham Lincoln lag neben Papst Pius XII., John F. Kennedy neben Zar Nikolaus Romanow und Pol Pot. Es gab umfangreiche Analysen alter und neuer Weltmächte, der USA, der Deutschen, der Franzosen, der Niederlande oder Spaniens.
    Auf und neben dem Schreibtisch türmten sich Gesetzesbücher in verschiedenen Sprachen, Kommentare zu Straf- und Wirtschaftsrecht aus mehreren Jahrhunderten und den verschiedensten politischen Systemen. Dazwischen fanden sich Artikel und CD-Roms, etikettiert nur mit Zahlen und Buchstaben. Nach und nach entdeckte Ella in den Regalen, auf Stühlen, Holzkisten und Kartons weitere Bücher, einige davon aufgeschlagen: Das Kapital von Karl Marx, Die Rothschilds , ein umfangreiches Werk über Ökonomie und Krise , die Roaring Twenties und den Bankencrash von 1929. Il Principe von Niccolò Machiavelli schaute unter Sun Tsus Kunst des Krieges hervor, daneben lagen Abhandlungen über die Medici und die Fugger, teilweise mit handschriftlichen Anmerkungen versehen, Kommentare aus Forbes , Fortune, der Financial Times und anderen Wirtschaftszeitungen, einige zerschnitten und wieder aneinandergeklebt, zusammengesetzt wie Puzzles.
    Eine Ausgabe des Spiegel lag aufgeschlagen auf dem Boden. Die Seite zeigte einen Artikel mit Foto: streng durch ihre Sonnenbrillen blickende Chinesen in schwarzen Anzügen. Darunter stand: Die Industrial Bank of China ist – gemessen an ihrem Börsenwert – die größte Bank der …
    Neben dem elfenbeinfarbenen Telefon lehnte ein ungerahmtes Foto, das Ellas Aufmerksamkeit fesselte. Es zeigte zwei junge Frauen – Schwestern vielleicht oder Freundinnen –, die einander
die Arme um die Schultern gelegt hatten und in die Sonne blinzelten. Im Hintergrund konnte man eine Kirche sehen. Ella brauchte ein paar Sekunden, ehe sie die Kirche als

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