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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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Michalewski, bitte öffnen Sie«, rief Ella. »Es ist wichtig, dass ich kurz mit Ihnen sprechen kann.«
    Noch immer blieb es still, so still, als versuchte jemand bewusst, kein Geräusch zu verursachen, bei angehaltenem Atem, kein Räuspern, kein knackendes Parkett. Ella schob den Schlüssel des Hausmeisters in das Schloss neben dem Türknopf. Der scharfe, raspelnde Klang von Metall an Metall zerriss die vollkommene
Lautlosigkeit, und auf einmal herrschte auch auf der anderen Seite der Tür keine Stille mehr, als die weinerliche Stimme plötzlich kreischte: »Was machen Sie denn?! Das dürfen Sie nicht!«
    Ella rief: »Sie haben den Rettungsdienst angerufen, und wenn Sie nicht öffnen, muss ich davon ausgehen, dass Ihnen etwas zugestoßen ist und mir Zugang zu Ihrer Wohnung verschaffen! «
    Â»Das war schon vor zwei Tagen, und ich habe meinen Namen gar nicht genannt!«
    Ella schwieg, damit der Mann in der Wohnung Zeit hatte, sich seine eigenen Worte noch mal vorzuspielen. Etwas schabte an der Innenseite der Tür entlang; es hörte sich an, als rutsche ein Körper daran herunter. Nach einigen Sekunden erklang ein fast qualvolles Stöhnen, gefolgt vom Scheppern und Klirren mehrerer Ketten, Riegel und Schlösser. Im selben Moment erlosch die Treppenhausbeleuchtung. In der Dunkelheit jenseits der geöffneten Tür hörte Ella jemanden schwer und feucht atmen, und eine Wolke von süßem Parfüm, halb Moschus, halb Patschuli, drang aus der Wohnung. »Herr Michalewski?«, sagte sie. »Ich komme jetzt rein. Erschrecken Sie nicht, ich habe noch jemanden bei mir.«
    Â»Nein, niemand sonst!«, sagte die Stimme, aber ihr Widerstand war nur noch schwach.
    Ella trat über die Schwelle. Vor ihr bewegte sich eine massige Gestalt, und jetzt mischte sich durchdringender Schweißgeruch unter den Parfümduft. Die Gestalt war nur ein Schattenriss vor dem Hintergrund seltsam phosphoreszierender Lichtquellen am anderen Ende des Gangs, aber Ella hatte den Eindruck, einem Berg aus Fleisch gegenüberzustehen. Etwas von dem grünlich schimmernden Licht glitt über die Gestalt und enthüllte mächtige Fettwülste und wabbelnde Hautlappen, die in Schichten übereinander zu hängen schienen, nur notdürftig
verhüllt von einem bis zum Zerreißen gespannten schwarzen Sweatshirt. Langes Haar fiel in öligen Locken auf Schultern, Brust und Rücken. Als die Gestalt sich bewegte, blinkten die runden Gläser einer Hornbrille in dem schweißglänzenden Gesicht auf.
    Â»Sind Sie wirklich Ärztin?«, fragte die helle, greinende Stimme.
    Ella holte ihren Ausweis hervor und hielt ihn dicht vor die mit talgig schimmernden Fingerabdrücken übersäten Brillengläser. Sie hörte, wie Dany hinter ihr eintrat und die Tür ins Schloss drückte. »Haben Sie mich in der Wohnung gegenüber nicht gesehen, in der Nacht vor zwei Tagen?«, fragte sie.
    Â»Nein. Nein, ich habe überhaupt nichts gesehen!«
    Dany schob sich an Ella und der Gestalt vorbei, und stieß unvermittelt einen leisen Piff aus. »Schauen Sie sich das an, Ella!«
    Â»Wo gehen Sie denn hin?«, rief Michalewski. »Was wollen Sie da? Das dürfen Sie nicht!« Ächzend und schwer atmend stapfte er hinter Dany her auf die Tür des Raums mit den phosphoreszierenden Lichtquellen zu. »Das geht Sie nichts an.«
    Ella blieb dicht hinter Michalewski. Der dicke Mann quetschte sich seitlich durch die Tür, hinter der eine andere Welt begann: Die phosphoreszierenden Lichtquellen in dem abgedunkelten Zimmer waren TFT-Monitore und Smartdisplays, über die Punkte und flackernde Linien huschten wie über den Monitor eines EKGs. Magische Augen weiteten sich und schrumpften wieder, analoge und binäre Anzeigen an elektronischen Aufnahme- und Wiedergabegeräten zählten unsichtbare Bits. Leuchtdioden glommen, LCD-Skalen und Fluoreszenzmesser schimmerten matt.
    Â»Was ist das?«, fragte Ella verblüfft.
    Â»Nichts«, sagte der dicke Mann hastig. »Das ist mein Büro,
hier arbeite ich. Ich bin Filmemacher, ich mache eine Langzeitdokumentation über – «
    Dany drehte sich um und schaltete das Licht an.
    Â»Nicht«, rief der dicke Mann entsetzt, »kein Licht!«
    In dem flackernden Schein einer in rotes Krepppapier gehüllten Glühbirne an der Decke entfaltete der überraschend große Raum seine seltsame Pracht: ein

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