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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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hier herrschende Armut, den Verfall hinwegtäuschen. In vielen Toreinfahrten türmte sich Sperrmüll, zerbrochene Türen waren mit Brettern zugenagelt. Rissige Mauern, zertrümmerte Fensterscheiben. Die Markise über dem vergitterten Schaufenster eines Gemischtwarenladens hing zerfetzt herab wie das Segel eines vom Sturm misshandelten Schiffes. Am Ende einer kurzen Seitenstraße blinkten die roten und blauen Lichter des Fernsehturms vor dem Nachthimmel, wo sie nicht hingehörten. »Wir fahren in die falsche Richtung«, sagte Ella.
    Â»An der nächsten Haltestelle steigen wir aus und nehmen ein Taxi«, sagte Dany.
    Ella warf einen Blick aus dem Rückfenster auf die Autos, die hinter dem Bus fuhren. Kein Audi, nur ein Taxi, das gelbe Schild auf dem Dach ausgeschaltet. Auf der Gegenfahrbahn raste ein Polizeiwagen heran und tauchte die Straße in das Licht blauer Blitze. Ella sah ihm nach, und auf einmal standen ihre Gedanken still. Sie holte ihr Handy heraus und wählte die Nummer von Brunos Apparat in der Feuerwehr-Leitstelle. Nach dem dritten Klingeln meldete er sich: »Berliner Feuerwehr. Mein Name ist Matschke – «
    Â»Hier ist Ella, ich – «
    Â»Ella, gut, dass du anrufst. Ich habe versucht, dich zu erreichen, aber dein Handy war gestört – «
    Â»Ich habe ein neues. Sag mal, hat sich inzwischen noch jemand nach der Aufzeichnung des anonymen Anrufs von vorgestern Nacht erkundigt?«
    Â»Deswegen wollte ich ja mit dir sprechen«, sagte Bruno. »Ein Mann vom LKA war hier und hat sich die Aufzeichnung vorspielen lassen, und dann wollte er wissen, ob ich etwas von dir gehört hätte – «

    Â»Wann war das?«
    Â»Vor einer Stunde ungefähr.«
    Â»Hat er dir seinen Ausweis gezeigt?«
    Â»Ja.«
    Â»Wie hieß der Mann?«
    Â»Tut mir leid, darauf habe ich nicht geachtet.«
    Â»Danke. Du hast nichts von mir gehört, ja?«
    Â»Ella, was ist denn los? Ich – «
    Sie unterbrach die Verbindung und atmete tief durch. Der Druck in ihrer Brust verursachte ihr Übelkeit. Sie sind überall gleichzeitig, dachte sie. Laut sagte sie: »Wir müssen uns beeilen. Sie werden nicht lange brauchen.«

16
    Es war fast elf Uhr, und sie standen vor dem Eingang des Hauses, an dessen Rückseite Ella die Bewegung hinter der Balkontür gesehen hatte. Es war ein Gebäude aus der Nachkriegszeit in einer ruhigen, baumbestandenen Kreuzberger Straße, in der auch im Sommer an einem Sonntagabend die Fenster früh dunkel wurden. Die Gehsteige waren verwaist. Über eine Kreuzung weiter unten floss ein Rinnsal von Autos, aber hier flackerte nicht einmal die Lampe eines vereinzelten Radfahrers. Im Schein der Straßenlaterne, vom dichten Blattwerk der Bäume gedämpft, versuchte Ella zu erkennen, welche Klingel zu der Wohnung mit dem Balkon gehörte. Auf jeder Etage außer dem Hochparterre gab es drei Klingelschilder. »Die da könnte es sein«, sagte Ella. Sie deutete auf das Schild in der Mitte des siebten Stocks. »Michalewski.«
    Sie drückte den Knopf, der zu dem Schild gehörte. Es gab eine Gegensprechanlage, doch sie blieb stumm, und niemand öffnete. Sie klingelte ein zweites Mal. Endlich knackte es in dem kleinen runden Lautsprecher unter den Knöpfen, und eine hohe, metallisch verzerrte Stimme fragte: »Ja?«
    Â»Mein Name ist Bach, Doktor Ella Bach. Ich möchte gern kurz mit Herrn Michalewski sprechen.«
    Â»Ja?«, sagte die hohe Stimme noch einmal.
    Â»Könnten Sie bitte aufmachen?«
    Die Stimme schwieg.
    Ella fragte: »Darf ich einen Moment raufkommen?«

    Â»Es ist schon sehr spät.« Die Stimme hatte einen weinerlichen, nörgelnden Unterton.
    Â»Sind Sie Herr Michalewski?«
    Die Stimme schwieg, nur die Sprechanlage rauschte leise.
    Â»Sie haben vor zwei Tagen nachts die Rettung angerufen, weil gegenüber von Ihnen eine Frau zu verbluten drohte. Ich bin die Ärztin, die auf Ihren Anruf – «
    Â»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen«, rief die Stimme. »Sie müssen mich verwechseln.« Nach einer kurzen Pause fragte sie: »Wie kommen Sie überhaupt auf mich?«
    Ella sagte: »Der Vorfall hat sich im Penthouse des Hauses Benno-Ohnesorg-Straße 7 auf der anderen Seite Ihres Hinterhofs ereignet, und die Beobachtung des Anrufers lässt mich vermuten, dass Sie ihn von Ihrer Wohnung aus mit angesehen haben – «
    Jetzt konnte

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