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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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sei er nicht ganz sicher, worin diese Ähnlichkeit genau bestand. Dann drückte er ihr den warmen Karton in die Hand. »Sie können im Gehen weiteressen.« Er ging voran über den finsteren Hof, der von hohen Gebäuden mit wenigen Fenstern eingefasst war, zu einer Lieferanteneinfahrt. Sie folgte ihm in die Durchfahrt, und als er stehen
blieb, um die Straße auf der anderen Seite ins Auge zu fassen, blieb sie ebenfalls stehen.
    Die Passanten, die an dem Tor vorbeigingen, schenkten ihnen keine Aufmerksamkeit, auch nicht die Fahrradfahrer. Die Autos fuhren langsam, aber doch schnell genug, um keinen Verdacht zu erregen. Alle Taxis waren besetzt. »Sieht so aus, als hätten wir sie abgehängt«, sagte Dany.
    Ella aß die letzte Teigtasche, diesmal mit Krebsfleisch gefüllt, dann warf sie den Karton weg. Vor ihnen hielt gerade ein Bus an der Haltestelle und Dany sagte: »Den nehmen wir.«
    Der Bus hielt. Ella sah, dass er fast leer war. Dany schob Ella auf die vordere Tür zu. »Bezahlen Sie für uns beide.« Sie stieg ein, kaufte zwei Einzelfahrten und ging ganz nach hinten durch, wo sie trotz der Innenbeleuchtung gegen Blicke von draußen am besten geschützt waren. Dany setzte sich neben sie, gleich hinter zwei türkischen Jugendlichen in schwarzen muscle shirts und weißen Satinhosen mit schnellen roten Streifen. »Woher wissen Sie eigentlich, dass Mado entführt worden ist?«, fragte er leise, als der Bus sich in Bewegung gesetzt hatte.
    Ein kleiner Junge mit einem Gehirntumor hat es mir erzählt.
    Â»Sie haben gesagt, Sie hätten sie eingeliefert, und am nächsten Tag war sie nicht mehr da, und niemand konnte sich an sie erinnern«, fuhr er fort, noch immer leise, obwohl die Türken iPod-Stöpsel in den Ohren hatten. »Wäre es nicht einfacher für die Entführer gewesen, sie gleich dort zu töten, wenn sie nur verhindern wollten, dass sie redet?«
    Â»Vielleicht ging es ihnen gar nicht darum«, sagte Ella. »Vielleicht wussten sie einfach noch nicht, was sie wissen wollten, weil sie durch uns gestört wurden.«
    Â»Sie meinen, sie wollten sie weiter foltern?«
    Ella schwieg.
    Â»Und Sie haben bisher keinen Hinweis darauf gefunden, worum es denen eigentlich geht?«, fragte Dany.

    Â»Nein. Wenn es wirklich mit ihrer Arbeit zu tun hatte, muss sie irgendetwas herausgefunden haben, was sie nicht hätte wissen dürfen.«
    Â»Sie war Studentin, oder? Was hat sie studiert? Woran hat sie gearbeitet?«
    Â»Wirtschaftsgeschichte«, erklärte er. »Die Entwicklung der Geldmärkte, die Entstehung der Börsen, die großen Wirtschaftskrisen, vor allem die Wechselwirkung von wirtschaftlicher Entwicklung und sozialem Fortschritt, der frühe Kapitalismus. Merkwürdige Interessen für eine junge Frau.« Er warf einen ungeduldigen Blick auf seine Armbanduhr. »Am Anfang dachte ich, sie interessiert sich dafür, weil unsere Urgroßeltern in der großen Weltwirtschaftskrise 1929 ermordet wurden. Sie wollte immer schon herausfinden, was damals wirklich passiert ist.«
    Â»Aber was machte sie dann in Berlin?«, fragte Ella. »Hätte sie danach nicht eher in Paris nach Antworten suchen müssen?«
    Dany beugte sich an ihr vorbei zum Fenster, um auf die Straße zu sehen. »Unsere Urgroßeltern lebten nicht in Paris, sondern im Elsass, in der Nähe von Haguenau. Sie hat auch an der Sorbonne studiert, aber aus irgendeinem Grund ist sie dann hierher nach Berlin gewechselt. Am Telefon sagte sie etwas von einer Spur, der sie gefolgt wäre, aber ich weiß nicht, ob das was mit unseren Urgroßeltern zu tun hatte oder mit ihrem Studium. Ich wünsche mir nur, ich wäre rechtzeitig hier gewesen, um zu verhindern, was geschehen ist.«
    Ella verspürte einen Anflug von Wehmut. »Sie müssen sich sehr gut verstanden haben mit Ihrer Schwester.«
    Â»Eigentlich nicht«, antwortete er und sah weiter aus dem Fenster. »Wir hatten kaum Kontakt in den letzten Jahren. Ich glaube auch nicht, dass Mado sich an Dany, den Bruder, gewandt hat. Sie hat sich an Daniel Schneider, den Journalisten , gewandt. Ich arbeite für ein Onlinemagazin.«
    Ella sah ebenfalls aus dem Fenster. Sie fuhren durch eine
Straße, die sie nicht kannte. Der Lichterglanz des Gendarmenmarkts lag hinter ihnen. Die Fassaden der Häuser waren schmutzig. Nicht einmal die Straßenbeleuchtung konnte über die

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