Erlosung
Nahm die Sonnenbrille ab. Starrte ihn an. » Aber warum nicht? «
»Ich habe mir die Wohnung angesehen«, Freyermuth schrie noch immer, »gerade eben. Ich konnte einfach reingehen, keine Absperrung, unversiegelt. Die Wohnung kam mir nicht vor wie der Schauplatz eines Verbrechens, nicht so eines Verbrechens, wie Sie es beschrieben haben â «
»Weil die Polizei alles beseitigt und gesäubert hat â «
Er wich zurück, als habe sie etwas völlig Verrücktes gesagt. »Warum sollte sie das tun?«
»Warum? Fragen Sie sich das wirklich?! Ihretwegen.« Ella hätte ihm am liebsten einen Stoà versetzt gegen die Brust oder eine Schulter, damit er endlich aufwachte. »Weil Sie einflussreich sind. Weil Sie Verbindungen haben. Weil Sie diese Verbindungen vielleicht spielen lassen könnten, wenn Sie gesehen hätten, wie es wirklich in Ihrer Wohnung aussah. Oder wenn die Presse Fotos davon veröffentlicht hätte â von einem Tatort, der ganz und gar nicht den Eindruck erweckte, dass da eine eifersüchtige Frau mal eben einer Rivalin einen Denkzettel verpassen wollte. Weil Mado mit Ihrer Tochter befreundet ist, und weil dieselben Männer jeden töten, dem sie vielleicht etwas anvertraut hat, auch Sonja, und die wollen nicht, dass Sie das wissen.«
Er glaubt mir nicht.
»Ich habe Videoaufzeichnungen, die das beweisen«, redete sie weiter. »Ich kann sie Ihnen zeigen, es ist alles gefilmt worden, der Ãberfall auf Mado, die Spurensicherung, die in der Wohnung aufräumt, man kann sogar einen der Männer erkennen. Sie müssen mir glauben!«
Die Sonne stand inzwischen schon hoch, und da, wo die StraÃe breiter wurde, lag ihr Licht weià und grell auf dem Asphalt. Der Müllwagen rollte langsam in einer Wolke von Staub und Papierfetzen am Bürgersteig entlang.
»Ich bin nur aus einem Grund hier«, rief Freyermuth. »Ich will Sie warnen. Wenn Sie so etwas haben, solche Bänder â was immer es ist, werfen Sie es weg, vernichten Sie es. Stellen Sie sich der Polizei.«
»Damit ich für immer verschwinde wie Mado?« Ella schüttelte den Kopf. »Was ist das für eine Anwaltskanzlei, von der Madeleine Schneider gesprochen hat â Rochefort, Gladstone & Wentworth?«
Ãberrascht lieà der Anwalt seinen Hut los, gerade als der Wind wieder aufsprang. Der Hut wurde ihm vom Kopf gerissen, aber er konnte ihn mit beiden Händen wieder fangen. »Du
meine Güte, was wissen Sie über die?« Er setzte den Hut nicht wieder auf, sondern schwenkte ihn in einer vergeblichen Geste gegen den Wind, der an seinem schütteren weiÃen Haar zerrte. »Sie müssen wirklich sehr vorsichtig sein!«
»Was sind das für Leute? Die stecken hinter alldem, oder? Hinter dem Ãberfall auf Mado, ihrer Entführung, den ganzen â «
»Mademoiselle Schneiders Anschuldigungen auf der DVD sind unsinnig, haltlos«, entgegnete Freyermuth. »Ich bin Patentanwalt, kein Wirtschaftsrechtler, deswegen habe ich mich in meinem Club erkundigt, mit ein paar Kollegen gesprochen, und alle waren derselben Meinung: ganz und gar unsinnig, absurd! Rochefort, Gladstone & Wentworth haben einen ausgezeichneten Ruf, überall auf der Welt! Herrgott, dieser Krach weckt ja Tote auf!«
Der Abfalltransporter hielt direkt vor der Einfahrt. Die Männer in den orangen Latzhosen kamen auf den Hof, packten zwei der zerbeulten Metallcontainer und mehrere Plastiktonnen und schoben sie rumpelnd über den rissigen Asphalt zur StraÃe. Hinter dem Müllwagen rollte langsam eine schwere Kawasaki vorbei.
Ella warf einen raschen Blick zu Dany hinüber. Er hatte sich weiter hinter die Laderampe des Supermarktes zurückgezogen, aber selbst auf die Entfernung, und obwohl er im Schatten stand, konnte sie erkennen, wie er sich vergeblich mühte, etwas von dem zu verstehen, was sie und Freyermuth redeten. Sein Kopf war leicht vorgeneigt, der Mund ein wenig geöffnet.
»Wann war das?«, fragte sie Freyermuth. »Wann haben Sie mit Ihren Kollegen gesprochen?«
»Letzte Woche.«
»Haben Sie irgendjemanden von der DVD erzählt?«
Freyermuth antwortete nicht.
»Haben Sie jemandem von der DVD erzählt?« , wiederholte sie.
»Nein!«
Er sagt die Wahrheit, dachte sie , aber trotzdem hat er Angst. Warum hat er Angst? Als er sich nach Rochefort, Gladstone & Wentworth erkundigt hat, wusste er noch nichts von
Weitere Kostenlose Bücher