Ermittler in Weiß - Tote sagen aus
verfügte, wurde ein Taxi bestellt. Das Auto verfügte aber nur über drei Sitzplätze, und da auch eine Protokollantin mitfahren sollte, musste ich nicht nur als zweiter Obduzent, sondern auch noch als Sektionsgehilfe fungieren. Aber es ging alles gut, und wir kamen kurz nach 19 Uhr wieder in Jena an. Der erste Arbeitstag in der Gerichtsmedizin war glücklich beendet. In den folgenden Tagen und Wochen fand ich mich immer mehr in die gerichtsmedizinische Arbeit hinein. Fast jeden Tag wurde eine gerichtliche Sektion angeordnet. Zumeist waren es Außensektionen, d.h. Sektionen, die außerhalb von Jena durchgeführt wurden. Im Institut selbst kamen nur etwa 6-8 Prozent aller Obduktionen zur Ausführung. Das Jenaer Institut war damals für das gesamte Land Thüringen zuständig, sodass unsere Sektionstätigkeit weite Fahrstrecken mit sich brachte. Das war einerseits recht anstrengend, andererseits aber auch äußerst interessant. Da ich damals schon einen eigenen Wagen besaß - einen 800er BMW Cabrio, Baujahr 1930 -, habe ich mit ihm viele Sektionsfahrten selbst gemacht. Ich war also Fahrer, Obduzent und in vielen Fällen auch Sektionsgehilfe in einer Person und hatte nicht selten einen 12-14-Stunden-Tag ohne größere Pausen. Aber als junger Mensch machte mir das nicht viel aus. Das viele Reisen hatte dazu noch einen weiteren Vorteil. Man kam in verschiedene Städte und konnte in den Geschäften nach Dingen Ausschau halten, die es im damaligen Nachkriegsdeutschland nur selten gab. Etwas problematisch wurde für mich die Situation, als mein älterer Kollege in Urlaub fuhr. Dadurch war ich Ende Mai 1951 für einige Wochen praktisch der einzige Arzt im Institut. Ich kann mich noch gut an den ersten Tag dieser Vertretung, einen Sonnabend, erinnern. Dr. Voigt war noch nicht eine Stunde fort, als die erste gerichtliche Sektion angefordert wurde. Sie sollte noch am gleichen Tag durchgeführt werden. Da sich die Chefsekretärin ebenfalls im Urlaub befand, musste sich auch die Organisation erst einspielen. Gegen Mittag fuhren wir dann mit meinem Wagen los. In der Nähe von Schleiz war aus einem Dorfteich eine zunächst unbekannte weibliche Leiche geborgen worden. Es war nicht klar, ob ein Selbstmord, ein Unfall oder eine Tötung durch fremde Hand vorlag. Da die Leiche zum Zeitpunkt der Sektion noch unbekannt war, musste auch nach Identifizierungsmerkmalen gesucht werden. Im Unterschied zum Pathologen gehört es zu den Aufgaben des Gerichtsarztes neben der Feststellung der Todesursache auch Hinweise zu finden, die eine möglichst vollständige Rekonstruktion des Vorganges, der zum Tode führte, ermöglichen. Bei jeder gerichtlichen Sektion kommt es deshalb als Erstes darauf an, die Todesart zu bestimmen. Auch ich musste demzufolge herausfinden, ob es sich um einen natürlichen oder nicht natürlichen Tod handelt. Läge eine nicht natürliche Todesursache vor, galt es festzustellen, ob der Tod durch Unfall, durch eigene oder durch fremde Hand, d. h. durch Selbstmord oder Mord, herbeigeführt wurde. Bei der Suche nach Merkmalen, die für die Rekonstruktion geeignet sind, spielen viele kleine und zumeist unbedeutende Verletzungen wie Hautabschürfungen, Unterblutungen, Schwellungen, Kratzer, Verfärbungen, Faseranhaftungen und dergleichen eine wichtige Rolle. Ferner sollen durch die Obduktion auch Merkmale und Hinweise festgestellt werden, die eine sichere Identifikation des Toten erlauben. Im vorliegenden Fall war die Todesursache eindeutig »Ertrinken«. Alles sprach für einen Selbstmord, was später nach Feststellung der Identität der jungen Frau durch einen Abschiedsbrief auch Bestätigung fand. Meine erste Gerichtsverhandlung erlebte ich vor dem Landgericht in Rudolstadt. Es handelte sich um einen Mordprozess, in dem Dr. Voigt als Sachverständiger geladen worden war. Er hatte das Opfer, eine junge Frau, seziert. Ich durfte ihn als Zuschauer begleiten. Der Täter, ein mehrfach wegen Raub und schwerer Körperverletzung vorbestrafter Mann, hatte die junge Frau getötet, weil sie behauptet hatte, von ihm schwanger zu sein und nun verlangte, geheiratet zu werden. Nach einer heftigen Auseinandersetzung hatte er sie erwürgt. Unmittelbar im Anschluss an diese Tat war er zu einer anderen Freundin gegangen und hatte den Abend mit ihr im Bett verbracht. Diese zweite Freundin wurde im Verlauf des Prozesses als Zeugin gehört, um die Gefühllosigkeit des Angeklagten zu demonstrieren. Er hatte nach dem Mord offenbar keinerlei
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