Ermittler in Weiß - Tote sagen aus
Fächer waren im Staatsexamen nicht gerade meine stärksten gewesen. Und nach meiner damaligen Kenntnis des Faches war die Gerichtliche Medizin eben nur ein kleiner Ableger der Pathologie und stand somit als Ausbildungsfach nicht zur Debatte. Unter diesen Voraussetzungen ging ich eines Nachmittags zur vereinbarten Zeit in das Institut am Fürstengraben. Ich wurde schon erwartet und gleich mit einem kleinen Apfelsinenlikör begrüßt. Dann erfolgte eine interessante Führung durch das Institut und die anschließende Besprechung, bei der wiederum einige Gläschen Apfelsinenlikör geleert wurden. Alkohol jedweder Art war in der damaligen Zeit eine Seltenheit. Aus diesem Grund ist mir das auch alles so genau in Erinnerung geblieben. Die Gerichtsmedizin war deshalb so gut versorgt, weil sie über ein Kontingent an reinem Alkohol für chemische Untersuchungen verfügte. Davon wurde nach Bedarf eine gewisse Menge für »wichtige Fälle« abgezweigt. Diesmal war ich der »wichtige Fall«. Und als die Flasche Apfelsi- nenlikör leer war, hatte ich auch meine Zusage gegeben, zunächst einmal ein halbes Jahr in der Gerichtsmedizin zu arbeiten. Inzwischen stand ich immer noch voller Gedanken um acht Uhr vor dem Institut am Fürstengraben und klingelte. Nach kurzer Zeit öffnete man die Tür, und ich wurde in den einzigen beheizten Raum des Instituts geführt. Es war das Labor, in dem normalerweise der Blutalkohol bestimmt wurde. Jetzt spielte sich das ganze Institutsleben hier ab, da nur dieser Raum geheizt werden konnte. Ein alter großer Kanonenofen stand in einer Ecke. Die Zentralheizung war wegen Kohlenmangels nicht in Betrieb. Fast alle Institutsmitarbeiter hatten sich in dieser Morgenstunde hier versammelt und für mich ergab sich so die Möglichkeit, sie gleichzeitig begrüßen zu können. Da war zunächst der Assistenzarzt Dr. Gerhard Voigt, praktisch der Chef hier, wenngleich offiziell der Direktor des Pathologischen Instituts der Universität, Prof. Dr. Fischer, als kommissarischer Direktor fungierte. Es war da ferner die Chefsekretärin Fräulein Pap und eine medizinisch-technische Assistentin, die mir als die »Kleene« vorgestellt wurde, obwohl sie mich um fast einen Kopf überragte. Dann lernte ich noch den Chemiker Dr. Gottwald und eine Reinigungskraft kennen. Den beiden zum Institut gehörenden Sektionsgehilfen oder Präparatoren, wie sie damals hießen, begegnete ich etwas später in ihrem Werkstattraum im Keller neben dem Sektionssaal. Das Institut war eben damals personalmäßig noch gut überschaubar. Nach der allgemeinen Begrüßung musste als Erstes ein Arbeitsplatz im Labor für mich geschaffen werden. Aus einem Nachbarzimmer wurden ein Tisch und ein Stuhl geholt und neben den großen Ofen, der leicht den gesamten Raum heizen konnte, gestellt. Zumindest war dieser Platz schön warm, wenn auch etwas dunkel. Als Nächstes bekam ich meine erste Aufgabe: Ich sollte eine Ermittlungsakte von einem Verkehrsunfall durchsehen und die Grundlagen für ein Gutachten erarbeiten. Mit großem Eifer stürzte ich mich in das Aktenstudium und fand alles äußerst interessant. Eine Gruppe von acht jungen Leuten war an dem betreffenden Abend in verschiedenen Gaststätten der Stadt eingekehrt und gegen Mitternacht ganz schön in Stimmung. Da in der Innenstadt alle Kneipen geschlossen waren, holte einer der jungen Männer den Pkw des Vaters aus der Garage. Die Gruppe wollte in einen Vorort fahren, um dort in einer ihnen bekannten Gaststätte weiterzutrinken. Man zwängte sich zu acht in den Pkw und ab ging die Fahrt in rasantem Tempo durch die nächtlich stille Stadt. Plötzlich stand an einem Platz eine Laterne im Weg. Der frontale Aufprall führte zum Totalschaden des Wagens; an eine Weiterfahrt war nicht zu denken. Mit schlechtem Gewissen und weitgehend ernüchtert kletterten die jungen Leute aus dem Wagen und verließen den Unfallort. Sie merkten zunächst nicht, dass einer fehlte. Das geschah erst einige Straßenecken weiter. Sie gingen zurück und stellten fest, dass der achte noch im Wagen saß und sich nicht rührte. Offenbar war er tot. In der Meinung, dem sei sowieso nicht mehr zu helfen, ließ man ihn im Wagen sitzen und ging nach Hause. Ich befand mich noch mitten im Aktenstudium, als eine gerichtliche Sektion gemeldet wurde. In Weimar war eine Wasserleiche gefunden worden. Die Obduktion sollte noch am gleichen Tag erfolgen und ich als zweiter Obduzent mitfahren. Weil das Institut damals über keinen eigenen Pkw
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