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Ermittler in Weiß - Tote sagen aus

Ermittler in Weiß - Tote sagen aus

Titel: Ermittler in Weiß - Tote sagen aus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgan Dürwald
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musste eine andere Lösung gefunden werden. An eine baldige Neuberufung war in der damaligen Situation nicht zu denken. Unmittelbar nach Kriegsende waren die gerichtsmedizinischen Lehrstühle in der Sowjetischen Besatzungszone bzw. der späteren DDR nicht alle besetzt, da einige der früheren Lehrstuhlinhaber aus verschiedenen Gründen nicht zurückgekommen waren. Insgesamt gab es fünf Lehrstühle bzw. Institute, nämlich in Berlin, Leipzig, Jena, Halle und Greifswald, von denen die ersten drei zunächst besetzt waren. Dann wurden aber der Leipziger und etwas später auch der Jenaer Chef von der sowjetischen Besatzungsmacht verhaftet und vor ein sowjetisches Kriegsgericht gestellt, weil sie an der Untersuchung und Begutachtung von Massengräbern in Winniza (Ukraine) teilgenommen hatten und zu einem unerwünschten Ergebnis gekommen waren. Es lautete: Die Opfer sind schon vor dem Krieg in den Jahren 1938-1940 getötet worden. Nicht die Deutschen, sondern der sowjetische NKWD war folglich für die Erschießung verantwortlich. Wegen dieser angeblichen Falschbegutachtung wurden beide zu mehrjährigen Zuchthausstrafen verurteilt. Nach der Wende und dem Ende der Sowjetunion stellte sich die Richtigkeit ihrer Gutachten ebenso wie bei denen zu den Massengräbern von Katyn heraus. In beiden Fällen sind die Opfer von sowjetischer Seite getötet worden. Dass unter den geschilderten Bedingungen eine Berufung von außerhalb in die DDR sehr skeptisch bewertet wurde, lag auf der Hand. Es war klar, dass für einige Zeit eine kommissarische Besetzung erfolgen musste. Ich wurde zum Dekan bestellt und nochmals in aller Form gebeten, die Routinearbeit in der Gerichtsmedizin für die nächste Zeit zu übernehmen. Der Dekan fügte noch hinzu, dass ich der Fakultät in dieser Notlage helfen müsste, sonst könne ich in anderen Fällen, etwa einer Habilitation, auch kein Entgegenkommen erwarten. Ein Ordinarius eines anderen Faches sollte formal die kommissarische Leitung übernehmen, damit die Gerichtsmedizin im Fakultätsrat vertreten war. Ich wurde gefragt, ob ich jemanden vorschlagen könnte. Der Pathologe, der dieses Amt ausgeübt hatte, als ich das erste Mal in die Gerichtsmedizin kam, war inzwischen emeritiert worden, die Pathologie zu dieser Zeit auch nur kommissarisch besetzt. Ich schlug daraufhin meinen damaligen Chef, den Direktor der Nervenklinik, vor, der sich aber erst nach längerem Zureden bereit erklärte, diese Funktion für kurze Zeit zu übernehmen. Er fühle sich mit dieser Aufgabe nicht sehr wohl, da er von Gerichtsmedizin überhaupt nichts verstehen würde. Wir vereinbarten dann, dass ich die gesamte Routinearbeit übernähme, während er ausschließlich für die Vertretung im Fakultätsrat verantwortlich sei. Es war gut, dass in dieser Zeit keine Vorlesungen zu halten waren. Als dann die entscheidende Fakultätssitzung kam, auf der diese von mir vorgeschlagene und vom Dekan akzeptierte Lösung beschlossen werden sollte, weigerte sich mein Chef, die kommissarische Leitung zu übernehmen. Alles Zureden half nichts, er blieb bei seinem »Nein« und meinte, dieses Amt könne der Dürwald doch auch selbst machen. Daraufhin beschloss die Fakultät tatsächlich, dass ich als Oberarzt in die Gerichtsmedizin gehen und gleichzeitig kommissarischer Direktor dieses Institutes werden sollte. Auf diese Weise wurde ich als relativ junger Mann neuer Chef in der Gerichtsmedizin und war ab sofort voll verantwortlich für die gerichtsärztliche Versorgung der drei thüringischen Bezirke Erfurt, Gera und Suhl. Ich konnte nur hoffen, dass alles gut gehen und ich die vor mir liegenden Aufgaben erfolgreich bewältigen würde. Zwar verfügte ich bereits über einige praktische Erfahrungen, hatte mich allerdings bis dahin nicht systematisch mit den wissenschaftlichen Problemen der Gerichtsmedizin befasst. Außerdem galt es, die gesamte Breite des Faches kennen zu lernen. Neben einer umfassenden Kenntnis natürlicher und nicht natürlicher Todesursachen mussten auch die anderen Spezialgebiete der gerichtlichen Medizin beherrscht werden, zum Beispiel die Toxikologie, die forensische Sexualkunde, die ärztliche Rechtskunde einschließlich der Beurteilung von Kunstfehlern und vor allem die Spurenkunde. Natürlich erfolgte die wissenschaftliche Tätigkeit in enger Verzahnung mit der praktischen Arbeit. Ich erinnere mich noch genau an einen der ersten Fälle, bei der die Frage geklärt werden musste, ob es sich um einen Unfall handelte. Er

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